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Die Tränen der Vila

Die Tränen der Vila

Titel: Die Tränen der Vila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jaedtke
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sich griff.
    „Vila“, flüsterte Lana.
    Noch immer verstand ich nicht, was das Wort bedeutete, spürte jedoch die eigentümliche Atmosphäre des Ortes und ahnte, warum die Männer einen Bogen um ihn machten. Die Gefahr, die sie fürchteten, schien von übernatürlicher Art zu sein.
    „Aber was ist Vila?“, fragte ich nochmals.
    Lana schürzte die Lippen und schien zu überlegen. Dann trat sie hinter dem Baum hervor und schritt langsam auf die Lichtung hinaus. Ihr schmaler Körper tauchte in den Nebel ein, und das Mondlicht glitzerte auf den hellen Strähnen in ihrem Haar. Eine Weile stand sie in der Mitte des offenen Platzes, reglos und vom Dunst umflossen, dann hob sie die Arme und begann, im Kreis zu gehen, erst bedächtig, dann schneller. Sie lief und sprang, drehte und wand sich, als tanzte sie um ein unsichtbares Feuer. Ihr Haar flog, während ihre nackten Füße fast geräuschlos durch das Gras glitten. Dabei bewegte sie sich ebenso geschmeidig und fließend wie die Nebelschwaden, die sie umgaben, so dass es schien, als verschmelze sie mit dem schemenhaften Wesen aus Mondlicht und Dunst.
    „Ein Geist“, begriff ich und starrte mit einer Mischung aus Furcht und Ergriffenheit hinüber. „Der Geist einer Frau, der auf einer Waldlichtung tanzt.“
    Ich erinnerte mich, dass es auch in meiner Heimat Geschichten über unheimliche Wesen gab, die in den Wäldern umgingen und sich an bestimmten Orten versammelten: Nachtmahre und Wiedergänger, Geister von Menschen, die ungetauft gestorben oder verflucht worden waren. Die Priester verdammten diese Vorstellungen als Aberglauben, denn ihrer Ansicht nach ließ der allmächtige Gott es nicht zu, dass Verstorbene als Geister zur Erde zurückkehrten. Hier jedoch, tief in den Wäldern des Ostens, schien mir der Glaube an die Wesen der Nacht treffender denn je, und ich schauderte.
    Um des Schauderns Herr zu werden, trat ich selbst einige Schritte auf die Lichtung hinaus und rief nach Lana, als müsste ich mich vergewissern, dass tatsächlich sie es war und kein launisches Gespenst. Lana hielt inne, erschrak und kam mit abwehrend ausgestreckter Hand auf mich zu. Sie rief ein Wort, das ich nicht kannte, doch erriet ich, dass es „Zurück!“ oder „Bleib stehen!“ bedeuten musste. Hastig zog ich mich in den Schatten der Bäume zurück.
    Lana folgte mir. Ihr ernstes Gesicht war von dem wilden Reigen nicht im Mindesten gerötet; vielmehr schien es noch blasser und heller als sonst, wie ein Flecken geronnenen Mondlichts. Tatsächlich sah sie in diesem Augenblick einem Geist nicht unähnlich – und plötzlich glaubte ich zu verstehen, warum die Wenden die Lichtung mieden und warum Lana mich daran gehindert hatte, sie zu betreten: Die Vila war ein weiblicher Geist und offensichtlich nur für Männer eine Gefahr.
    Lana führte mich durch den Wald zum Lager zurück, ohne dass wir weitere Worte wechselten. Wie stets verabschiedeten wir uns mit einem stummen Blick, und sie ging zum Zelt ihrer Gastfamilie, während ich mich neben dem schlafenden Hartmann ins Gras bettete.
    In dieser Nacht konnte ich noch lange Zeit nicht einschlafen, denn ich musste an die Vila denken – und an Lana, die den Geist mit so unheimlicher Überzeugungskraft dargestellt hatte, dass das Bild ihrer schwingenden Arme im Nebel mir nicht aus dem Kopf ging. In meiner Heimat erzählten sich die Bauern, dass nicht nur bösartige, sondern auch unglückliche oder grausam getötete Menschen als Geister umgingen, weil das erlittene Unrecht ihnen keine Ruhe ließ. War nicht etwas Ähnliches auch mit Lana geschehen? Sie hatte das fürchterliche Sterben ihrer Familie mit ansehen müssen und war dadurch in gewisser Weise selbst zu einem Geist geworden, einem ruhelosen Wesen, das in den Wäldern umgegangen war und bei Nacht und Nebel mit spukhafter Plötzlichkeit Rache an seinen Feinden geübt hatte. Tatsächlich, so dachte ich, war Lana eine Vila – oder zumindest diesem Geisterwesen ähnlicher als sonst ein lebender Mensch.
    „Du warst mit der kleinen Wendin fort, nicht wahr?“, fragte Hartmann beim Frühstück am nächsten Morgen.
    „Aber – Ihr habt doch geschlafen!“, verriet ich mich unbedacht.
    Hartmann schmunzelte. „Seit mein Bein mich dazu verdammt, den halben Tag untätig herumzusitzen, ist mein Schlaf nicht mehr besonders tief.“
    Ich schwieg und fragte mich, warum es mir eigentlich so unangenehm war, von ihm ertappt worden zu sein.
    „Sie lehrt mich ihre Sprache“, sagte ich fast

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