Die Tränen der Vila
Was kümmert es mich, ob jener Krieg den Segen der Kirche hatte? Du kümmerst mich, Odo. Ich hatte selten Knechte, und wenn, dann immer nur für kurze Zeit. Du aber bist mir lieb und teuer, fast wie ein Sohn …“
Ich lauschte ihm schweigend.
„Ich schulde dir mein Leben, Odo. Einmal für deinen Vater und zum zweiten Mal, weil du mich nicht zurückgelassen hast, als ich mir das Bein brach – obwohl du wusstest, wer ich bin und was ich getan habe. Oft hast du meinen Schlaf bewacht, und es wäre dir ein Leichtes gewesen, mir den Dolch ins Herz zu stoßen – doch nichts dergleichen hast du getan. Ein Leben kann ich dir vielleicht bezahlen, indem ich mich an Vaters statt deiner annehme und für dich sorge.“ Er zögerte kurz. „Das andere Leben werde ich dir bezahlen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Ich weiß nicht, ob sie kommen wird, doch wenn es der Fall ist, werde ich nicht zögern – das schwöre ich dir.“ Er verstummte.
Auch ich schwieg. Es war seltsam, doch der Wunsch nach Vergeltung bewegte mich in diesem Augenblick weniger denn je. Hartmanns Worte, und mehr noch sein ehrliches Erschrecken, hatten mir eine heilsame Genugtuung verschafft. Er mochte ein gottloser und ehrsüchtiger Mann sein; im Grunde jedoch unterschied er sich diesbezüglich nicht von den diversen Fürsten, in deren Dienst er gekämpft hatte. Vielleicht, dachte ich sogar, war sein Charakter nur das Resultat seiner Erfahrungen in unzähligen Kriegen mit wechselnden Auftraggebern. Da man ihm heute diese, morgen jene Sache als heilige antrug, hatte er gelernt, nichts für heilig zu halten, und achtete weder Ehre noch Unschuld. Früher hatte ich mit seiner unfrommen Gesinnung gehadert, inzwischen jedoch hatte ich Schlimmeres gesehen – zum Beispiel einen Haufen Kreuzfahrer, die eine wendische Familie abschlachteten. Und was Hartmanns Zweifel an Gott und der Kirche betraf, so hatten jene Erlebnisse mich bewogen, ihm in vielem beizupflichten.
In den folgenden Tagen mieden wir das Thema wie auf stillschweigende Verabredung. Hartmann verhielt sich wie immer; allenfalls schien er ein wenig schweigsamer und nachdenklicher als gewöhnlich.
Sein Bein heilte, wenngleich abzusehen war, dass er eine Behinderung davontragen würde. Zu unserem Erstaunen brachten die Frauen eines Morgens ein Paar geschnitzter Holzkrücken, mit denen er eifrig das Gehen übte. Wie sich rasch herausstellte, benötigte er nur eine der Krücken, die er unter die linke Schulter klemmte, so dass er die rechte Hand frei hatte. Bald wagten wir es, im Lager umherzugehen, wiewohl einige der Wenden uns dabei mit misstrauischen Blicken verfolgten.
Das änderte sich, als wir begannen, unsere Hilfe anzubieten, um uns für die freundliche Aufnahme erkenntlich zu zeigen. Viele Männer waren mit der Ausbesserung ihrer Behausungen beschäftigt, und wo immer jemand Holz schlug, Zeltstangen aufrichtete oder Zäune für das Vieh zog, sprang ich bei, schichtete das Holz, hielt die Stangen fest oder half beim Aufspannen der Zeltplanen.
Hartmann beobachtete, wie der Anführer der Bauern – jener ältere Mann, dem Lana das Schwert übergeben hatte – umständlich Pflöcke mit einem Messer anspitzte, und versuchte ihm begreiflich zu machen, dass er das Schwert benutzen solle. Nach einigem Zögern reichte der Bauer ihm die Waffe, und Hartmann führte zum allgemeinen Aufsehen vor, wie man einen Pflock mit drei kräftigen Schwerthieben anspitzen konnte. Die umstehenden Wenden ließen Beifallsrufe hören und klatschten in die Hände. So ließ der Bauer meinen Herrn sämtliche Pflöcke anspitzen, und ich half, sie in den Boden zu rammen, um das Gerüst für eine Hütte zu bilden. Hartmann wollte das Schwert zurückgeben, doch der Mann winkte ab und bedeutete ihm großzügig, es zu behalten.
Die Einzigen, die unsere Hilfe zurückwiesen, waren die Angehörigen der Familie, bei denen Lana lebte. Der Vater, offenbar ein Bogenmacher, duldete uns nicht einmal in der Nähe seines Zelts, und die Mutter wich uns ängstlich aus, sooft wir ihr begegneten. Besonders der erwachsene Sohn, ein dunkelhaariger Jüngling, der Ladislav gerufen wurde, maß uns mit finsteren Blicken. Ich erinnerte mich an ihn, denn er war derjenige gewesen, der Lana bei unserer Ankunft so stürmisch begrüßt hatte. Oft sah ich ihn in ihrer Nähe, doch die beiden wechselten kaum Worte, und es hatte den Anschein, dass er mehr an ihrer Gesellschaft interessiert war als sie an der seinen.
Im Übrigen begegnete uns Lana
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