Die Traenen Des Drachen
Wascht euch jetzt! Ich komme später nach oben.«
Karain trat mit seinen Brüdern hinter den Vorhang unter der Treppe. In diesem Raum schliefen Mutter und Vater. Die Nase der Kleinen ragte nur gerade eben aus den Kissen des Kinderbettchens hervor, das sie aus einer halben Tonne geschreinert und mit Beinen versehen hatten. Nach den Gesetzen der Stadt durfte sie erst nach ihrem ersten Winter einen Namen bekommen, doch seine Mutter hatte bereits begonnen, sie Avn zu nennen, wie die Meeresgöttin von Krugant.
Die Tür zum Hinterhof war am Ende des Raumes. Arga und Mir hatten sie bereits aufgerissen und sprangen die steinerne Treppe hinunter. Karain schlenderte hinter ihnen her und ließ sie sich an der Regenwassertonne in der Ecke austoben, während er sich selbst auf der Treppe hinhockte. Eine Katze schlich aus dem verfallenen Schuppen auf der linken Hofseite, in dem die Kutscher früher einmal zu übernachten pflegten. Genau gegenüber der Treppe war die Werkstatt und rechts davon der alte Stall. Doch zwischen Stall und Hauswand hindurch konnte er ein Stück des Weges erkennen und dahinter das Glitzern des Wassers. Wenn der Wind vom Meer kam, konnte er sogar noch hier oben den Geruch des Tangs wahrnehmen. Doch an diesem Abend kam der Wind von Norden.
Nachdem er sich gewaschen hatte, ging er wieder in die Stube und kletterte von dort die Treppe zum Dachboden empor. Arga und Mir lagen bereits ruhig in ihrem breiten Bett unter der Fensteröffnung. Er selbst setzte sich auf seine schmale Pritsche und zog sich die Decke um die Schultern. Er mochte nicht, was der Schmied gesagt hatte. Jetzt begriff er, warum im Wirtshaus so ein Aufruhr gewesen war. Dämonen… Der Schmied war nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen, aber an diesem Abend hatte er besorgt gewirkt. Waren Dämonen wirklich so gefährlich? Und warum hatte ihn Vagge so merkwürdig angeschaut?
Da knirschte es auf der Treppe. Sein Vater kam mit einem Öllämpchen in der Hand nach oben.
»Ich dachte mir schon, dass du nicht so schnell einschläfst«, sagte er und streckte ihm eine zusammengerollte Haut entgegen. »Was meinst du, Karain, sollen wir da weitermachen, wo wir gestern aufgehört haben?«
Karain nickte, kroch unter die Decke und stützte seinen Kopf an der Wand ab. Vater setzte sich neben ihn, stellte die Öllampe auf den breiten Bettpfosten und kratzte sich am Bauch. Das Pergament knisterte, als er es entrollte.
»Wir müssen leise sein.« Er warf einen Blick zu dem anderen Bett hinüber. »Arga und Mir schlafen.«
Karain rieb sich mit seinen Krallenfingern die Augen. Auch er war müde.
Sein Vater deutete auf dem Pergament auf eine Stelle, etwa eine Handbreit unter der Oberkante. Karain legte die Rolle in seinen Schoß und fuhr mit dem Handrücken über das alte Ziegenleder. Es war vier Fuß lang und zwei Fuß breit, und die Zeichen darauf waren mit Tierblut geschrieben worden. Ganz oben stand »Krim ganma«. Das war eine der Pergamentrollen, die Vater in der Kiste unter der Treppe aufbewahrte. Karain wusste, dass sein Vater bereits seit vielen Jahren Schriftrollen sammelte, und diese hier beinhaltete den dritten Teil der Geschichte von Krim. Es war eine Geschichte über große Kämpfe, Belagerungen und Heldenmut, niedergeschrieben von gelehrten Männern und aufbewahrt in Kels’ Schriftenkammer. Karain liebte es zu lesen, denn im Reich der Worte gab es keine Bäckersöhne oder Fremde, die ihn merkwürdig anstarrten. Dort konnte er alles selbst bestimmen.
»Lies jetzt«, forderte ihn sein Vater auf. »Krims Rede, so weit warst du gekommen.« Er trommelte mit seinem Zeigefinger auf das Pergament. »In den neuen Siedlungen an der Küste.«
Karain atmete tief ein und ließ die Zeichen zu Worten werden, zu Bildern, und rasch verwandelte sich das Pergament zu einer gewaltigen Ebene, über die mit Speeren und Bogen bewaffnete Krieger ritten. Er roch die Pferde und die geölten Rüstungen, hörte das Trommeln der Hufe auf dem Boden und die heiseren Schreie der kämpfenden Männer. Dann begann er zu lesen:
»Und dort fand der Grausame Trockenfisch, Pelz und Gold. Er ließ seine Männer die Hütten abbrennen, bereicherte sich selbst und zog weiter gen Norden. Die Städte entlang des Meeres waren verlassen, denn ihm voraus eilten seine beiden mächtigsten Krieger: Angst und Hörensagen.«
Karain hörte auf zu lesen. Er sah seinen Vater an.
»Glaubst du, was der Schmied sagt?«
Der Böttcher lächelte und schüttelte den Kopf.
»Er ist
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