Die Traenen Des Drachen
Zeit, jeder in seiner eigenen Vogelsprache, herumschrien. Karain wusste, dass zu dieser Zeit des Tages am meisten Leben an den Verkaufsbuden am Kai war, und ging über die Wirtshausgasse direkt zum Hafen hinunter. Als sie den hölzernen Kai betraten, ließen sie die Arme sinken und wurden still. Karain wusste, dass sich viele große Männer an den Buden aufhielten. Hier handelten sowohl Krieger als auch Seeleute, und wenn er Glück hatte und nicht störte, konnte er vielleicht die eine oder andere Geschichte aufschnappen.
Die Brüder verschwanden zwischen ledergekleideten Arern, prahlenden Nordmännern und Rüstung tragenden Kelsmännern. Arga und Mir gingen dicht hinter ihrem Bruder her. Karain lächelte zufrieden, wohl wissend, dass seine Brüder auf ihn angewiesen waren, wenn es darum ging, Geschichten am Hafen mitzubekommen. Er kroch unter einem Tisch hindurch, auf dem Tintenfischarme in der Sonne glitzerten. Auf der anderen Seite stieß er an das Bein eines Nordmannes, der sich zu ihm hinunterbeugte und wie ein Pferd wieherte. Dann leitete er seine Brüder an einem Stapel von Speerschäften vorbei, bis er an einem aufgerollten Tau stehen blieb. Dort war ein Schiff vertäut, auf dessen Deck ein etwa ochsenkarrengroßer, leerer Käfig stand. Hinter der Reling stand ein großer Kretter mit krummem Rücken, der, wie es für reiche Sklavenhändler üblich war, von Kopf bis Fuß in Seide gekleidet war. Er sprach mit einem vornehm gekleideten Tuurer mit einem goldenen Armband, der auf der anderen Seite der Taurolle stand. Karain winkte seine Brüder zu sich, denn die Sklavenhändler waren für gute Geschichten aus fremden Ländern bekannt. Aber an diesem Tag waren sie nicht in der Stimmung für Geschichten.
»Dämonen«, sagte der Tuurer und fingerte an seinem Armband herum. »Sie benützen jetzt Kinder. Sie verstecken sich in ihnen, aber du kannst sie an ihren Gesichtern erkennen. Sie sind ganz verzerrt.«
»Ja«, antwortete der Kretter. »Wie die aufgesprungene Rinde eines Baumes. Widerlich.«
Da bemerkte Karain, dass er von seinen Brüdern betrachtet wurde. Sie zogen an seinem Arm, aber er wollte mehr hören, er hatte Geschichten schon immer so geliebt.
»Es würde mich nicht wundern, wenn sie auch hier sind«, flüsterte der Mann mit dem goldenen Armband und schielte zwischen den Buden hindurch. Da fiel sein Blick auf Karain, der sich, das Seilende zwischen den Fingern, mit dem Rücken an die Taurolle lehnte. Er sah die Krallenfinger und das behaarte Gesicht und blieb wie festgenagelt auf den Kaiplanken stehen. Dann begann sein Kinn zu zittern, bevor er schluckte und Luft holte.
»Dämonen! Dämonen!«, schrie er aus vollem Hals und stürmte wild gestikulierend und immer wieder auf Karain zurückdeutend mit flatterndem Gewand davon. Und wirklich alle, angefangen von den Seeleuten auf den entferntesten Schiffen bis hin zu den Buden auf der anderen Seite des Marktplatzes, blickten auf Karain und waren still. Das Gerücht von den Dämonen hatte ein Antlitz bekommen.
Noch am gleichen Abend, die Böttcherfamilie saß gerade zum Essen am Tisch, klopfte es an der Tür. Der Böttcher öffnete, und draußen stand das städtische Söldnerheer mit Fackeln und Galgenstrick, ein gutes Dutzend Männer, bezahlt für dieses Jahr. Die Flammen spiegelten sich auf den Schulterplatten und den blank geschliffenen Speerspitzen. Auf der Türschwelle stand der Muru mit gerunzelter Stirn. Seine gebrochene Nase war in Richtung seines linken Ohres verschoben. Er war der Anführer der Soldaten und trug eine knöchellange Rüstung in Rot und Gelb, den Farben des Laag.
»Ihr versteht sicher, was wir tun müssen.« Seine Nasenlöcher weiteten sich, und er deutete auf Karain, der mit seiner Suppenschale am Tisch saß.
»Wir dürfen nichts riskieren.« Seine gelben Augen wurden schmal wie Schießscharten, als er in den Raum trat. Aber der Böttcher stellte sich ihm in den Weg.
»Nein«, sagte er.
Karain konnte sehen, wie der Schweiß von seiner Stirn perlte, und er wusste, wie dreist und gewagt das Vorgehen seines Vaters war. Wer sich dem Stadtheer widersetzte, konnte wegen Aufwiegelei verurteilt werden.
»Wir… Ich…« Der Böttcher stammelte und strich sich mit der Hand über seinen dicken Bauch. »Ich werde mich selbst darum kümmern.«
»Nun«, sagte der Muru und zog die Buchstaben derart in die Länge, dass seine Stimme wie das Schnurren einer Katze klang. Die Schießschartenaugen wurden, wenn das überhaupt möglich war,
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