Die Tränen des Herren (German Edition)
ist wahr! Mein einziges Verbrechen ist, dass ich falsche Geständnisse abgelegt habe!“
Jacques de Molays Stimme hallte mit einer Kraft über den Platz, die man nicht mehr in ihm vermutet hätte. Am allerwenigsten der Erzbischof von Sens. Marigny war vorgeschnellt und stieß einem der Gardisten in den Rücken. „Stopf ihm doch das Maul! Los!“
Der Bewaffnete sah sich um, sichtlich in Bedrängnis gebracht von der plötzlichen Wende des Geschehens und warf einen unschlüssigen Blick auf die Stadtbüttel. Wenn diese eingriffen...
„Im Angesicht des Todes bekenne ich, was ich vor dem Inquisitor gestanden und damals vor der Universität bestätigt habe, ist falsch! Ich habe gelogen, verlockt von falschen Versprechungen! Der Orden des Tempels ist ohne Makel!“
Aufs Neue von Marigny angefaucht, setzte sich der Gardist jetzt in Bewegung, packte Meister Jacques, wollte ihn am Weitersprechen hindern. Aber schon hatte sein Mut auch Godefrois de Charny ergriffen, und auch er widerrief. Und unter dem anwesenden Volk begann sich der Unmut mit lauten Flüchen gegen den Erzbischof Luft zu machen.
„DAS haben sie gesagt?!“
König Philipp riss dem Boten des Erzbischofs von Sens den Brief aus den Händen. Es war geschehen, was er nie mehr für möglich gehalten hatte. Der Meister des Tempels und der Großkomtur der Normandie hatten alle Geständnisse zurückgenommen! Dies stellte in Frage, was er, Philipp, bisher erreicht hatte, was er mit Zähigkeit sieben Jahre verfochten hatte! Neben der Wut packte den König mit einem Mal auch Angst. Er hatte den Sturm auf den Tempel inszeniert, um sich Reichtum und Macht der Ordensbrüder zu Eigen zu machen, um sie in den Dienst seines Reiches zu stellen. Aber das Gold war ihm durch die Finger geronnen wie Sand, und die Güter des Ordens hatte der Papst den Hospitalbrüdern in ihren gierigen Rachen gestopft! Und die Macht, die er zu zerbrechen geglaubt hatte? War sie nicht noch immer lebendig, mächtiger und bedrohlicher als je zuvor? Durch seine Erinnerung huschte das Bild eines zu allem entschlossenen jugendlichen Armbrustschützen damals im Wald vor Vienne... Der junge Montfort hatte zu diesen Verfluchten gehört! All die Monate, die er an seinem Hof gewesen war, hatte er heimlich hinter seinem Rücken für sie gearbeitet! Und Ghislaine, Yvos Mutter! Und wer noch? Und wer gehörte JETZT noch zu ihnen, plante insgeheim sein Ende? Vielleicht gerade dort draußen, auf dem Platz?!
„Wo sind die Templer jetzt?“
„Seine Ehrwürden hat sie in der Kapelle des Bischofspalais eingesperrt. Das war der nächste Ort, und er meinte, wegen des Volks...“
„Ja, gut. Sollen sie dort bleiben! - Sire Enguerrand“, wandte sich der König hastig an seinen Finanzminister, das einzige gerade anwesende Mitglied des Kronrats, „...benachrichtigt den Prévot! Er soll mit seinen Männern und dem Henker kommen! Die beiden rückfälligen Ketzer werden verbrannt!“
Enguerrand de Marigny eilte an Seiner Majestät vorbei. Natürlich, er wusste, dass dem König ein solcher Urteilsspruch nicht zukam. Doch es wäre unklug gewesen, diese Bedenken zu äußern!
Es dunkelte bereits, als Jean de Saint-Florent und Yvo in Paris einritten. Doch die Straßen waren noch voller Menschen. Sie standen in Gruppen beieinander, sich aufgeregt unterhaltend, schienen auf etwas zu warten. Plötzlich kam eine Frau gelaufen, schrie, gestikulierte wild. Ein paar Leute rannten ihr nach zum Fluss.
„He!“ Jean hielt einen jungen Mann an. „Gab es ein Unglück?“
„Der König schickt zwei Templer ins Feuer!“
„Den Meister und noch einen!“ fügte ein anderer Bursche hinzu. „Heut’ morgen haben sie widerrufen!“
„Bei allen Heiligen Gottes…“ entfuhr es Jean. Die Flammen der Scheiterhaufen zeichneten noch seine letzte, im Grunde seine einzige, Erinnerung an Paris.
„Wo?“ schrie er den Leuten nach.
„Vor Notre Dame, hab’ ich gehört!“
„Nein, nein“, bestritt eine Frau kopfschüttelnd. „Auf der Ile des Juifs! Ich habe gerade das Boot gesehen, das sie hinbrachte!“
Jean stieß seinem Pferd die Sporen in die Seite. Gefolgt von Yvo jagte er die enge Gasse hinab.
König Philipp hatte keine Zuschauer gewollt bei diesem letzten Akt seines Schauspiels, diesmal nicht. In aller Eile war der Scheiterhaufen auf der kleinen Seineinsel aufgeschichtet worden. Ein doppelter Reigen königlicher Gardisten umschloss ihn. Die Fackeln der Henkersknechte warfen goldene Reflexe auf ihre Rüstungen. Unter dem
Weitere Kostenlose Bücher