Die Tränen des Herren (German Edition)
Kampf können wir nicht riskieren, die anderen sind schon zu weit weg, unsere Gruppen sind zu weit auseinander gezogen; wir haben keine Zeit, uns zu organisieren!“ Fünf Jahre lang waren er und seine Brüder dem König entkommen, sollte er jetzt noch Erfolg haben? Als Krönung seines teuflischen Triumphs?!
„Auf die Pferde!“ wiederholte Jocelin entschlossen. „Jean, Ihr werdet voran reiten! Ghislaine, Yvo, Ihr in die Mitte! Lasst alle Satteltaschen, alles, was irgendwie hinderlich sein könnte, zurück! Schnell! Ich nehme Arnaud vor mich!“
Die Fackeln zwischen den Bäumen tanzten näher, die Stimmen der Söldner waren deutlicher zu verstehen. Unter ihnen eine Stimme, die Jocelin bis ans Ende seines Lebens nicht vergessen würde: König Philipp! Seine Majestät selbst war hier, auf der Jagd, um das Wild endlich zur Strecke zu bringen, das sich ihm so widerspenstig bisher entzogen hatte...
„Vorwärts!“ flüsterte er, gerade laut genug, dass die anderen ihn noch hören konnten. Der Feuerschein der Fackeln huschte wieder durch dunkle Nadelholzstämme und nachtschwarzes Blattwerk. Sie mussten froh sein über jeden, der in dieser Nacht aus Vienne entkam! So rasch der unebene, wurzelübersäte Untergrund es zuließ, ritten die Flüchtlinge vorwärts, tiefer in den Wald, in dem sich irgendwann in westlicher Richtung die Köhlersiedlung öffnen sollte. Steine klapperten unter den Hufen, stachlige Ranken rissen an Gewändern und peitschten über die ungeschützten Flanken der Tiere. Fort, nur fort von den Stimmen der Jäger und dem Feuerschein!
Ein erschrockenes Wiehern. Jocelin sah schemenhaft, wie sich eines der Pferde aufbäumte und seinen Reiter abwarf. Zweige knackten, dann hörte er einen leisen Schrei. Ghislaine! Er zog die Zügel an, starrte in das Gewirr aus Buschwerk und glitt aus dem Sattel. Eben riss das Mondlicht ihr erschrockenes Gesicht aus der Finsternis. „Ghislaine, seid Ihr verletzt?“
„Nein, ich glaube nicht! Jocelin, kümmert Euch nicht um mich! Reitet weiter! Flieht, um Gottes Willen!“
Schon klangen die Jäger wieder nah, bedrohlich nah.
„Ich kann Euch nicht einfach hier zurücklassen!“ Er beugte sich zu ihr, griff sie unter den Armen und zog sie hoch.
„Jocelin... geh!“ flüsterte sie jetzt. „Sie werden mir nichts tun! Und wenn, sterbe ich lieber jetzt und hier, als... als nach Jahren der Einsamkeit in irgendeinem Konvent! Ich kann nicht leben ohne dich... und ich will es nicht!“
Er nahm ihr Gesicht in seine Hände, versank in ihrem Anblick, den silbrigen Reflexen, die das Mondlicht in ihren Augen zauberte. „Ghislaine, niemals! Niemals lasse ich dich hier zurück!“ Mit einem Mal war ihm alles gleichgültig, nur diese Worte zählten und die Wärme ihres Körpers, die er durch das Gewand spürte. „Ich liebe dich, ich liebe dich, Ghislaine...“
Ihre Lippen berührten sich, gerade als ein Feuerschein durch das Blattwerk brach und ihrer beider Gestalten in flammendes Orange tauchte.
Jocelin wandte sich um.
Vor ihnen stand ein Reiter auf einem unruhig aufstampfenden Pferd. Das Fackelleuchten irrlichterte hinter den Baumstämmen, huschte über ein ebenmäßiges Gesicht, glänzte auf goldenen Lilienapplikationen, einer florentinischen Rüstung und einem blanken Schwert.
„Gräfin Ghislaine de Montfort, was für ein unerwartetes Wiedersehen“, sagte der König als befände er sich auf der Promenade des Louvre. „Und wen haben wir da? Eure ketzerische Buhlschaft?“ Er ritt ein paar Schritte näher. „Hast du geglaubt, du könntest meinem Richtschwert entgehen, Templer?“
Jocelins Hand fuhr zu seiner Waffe, als er das schleifende Geräusch eines anderen Schwertes hörte, das aus der Scheide gerissen wurde. Im Spiel von Licht und Nacht sah er entsetzt, wie Arnaud seinem Pferd die Sporen in die Seite schlug und mit gezogener Klinge auf den König zusetzte.
„Arnaud!“
Die Waffen des blinden Ordensbruders und König Philipps trafen klirrend aufeinander.
„Vater!!!“
Der nächste Hieb Seiner Majestät schlug Arnaud das Schwert aus der Hand, zerfetzte das Kreuz auf seinem Gewand und die ungeschützte Brust darunter.
„Christus...hilf...“ war das Letzte, was er über die Lippen brachte. Als der alte Templer aus dem Sattel rutschte, war er bereits tot.
Die eigene Klinge jetzt in der Hand suchte Jocelin einen sicheren Stand zu bekommen und den König abzuwehren. Doch die Hufe von Philipps sich aufbäumenden Reittier waren drohend über ihm. Ghislaine
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