Die Tränen des Herren (German Edition)
unnahbaren Blick des Königs führte der Henker die beiden Verurteilten die Stufen zum Scheiterhaufen hoch.
Jacques de Molays Gesicht war friedlich. Er hatte abgeschlossen mit der Welt. Und endlich schwieg auch sein eigenes anklagendes Gewissen. Jetzt würde er die Schande tilgen, die er auf sich und seinen Orden gehäuft hatte! Der Henker stieß die Männer gegen den Pfahl und warf einen Strick um ihre Schultern.
„Ich bitte, binde mich so, dass ich hinauf sehen kann zu Notre Dame! Die Heilige Jungfrau stand am Beginn unseres Ordens, und so Gott es gefällt, soll sie auch an seinem Ende stehen.“
Der Henker zuckte mit den Schultern und schob ihn ein Stück nach rechts, ehe er die Fesseln festzurrte. Dann kletterte er hinunter und winkte den Knechten mit den Fackeln.
Schon senkten sich die Flammen an die Reisigbündel, da gebot die Stimme des Inquisitors Imbert Einhalt. Ein Kreuz in der erhobenen Hand schritt er auf den Scheiterhaufen zu.
Nichts durfte er unversucht lassen! Das Seelenheil zweier Menschen wog mehr als der Wille des Königs! Vielleicht widerriefen sie ja noch einmal!
„Ich bezeuge, dass der Orden des Tempels immer rechtgläubig und rein war!“ antwortete Jacques de Molay der Aufforderung des Inquisitors. „Und ich weiß, dass jene, die uns zu diesem ungerechten Tod verdammt haben, dafür leiden müssen!“
„Gott erbarme sich Eurer!“ Abrupt drehte Imbert sich um.
„Eurer möge er sich erbarmen! Und Eurer, Philipp, König von Frankreich!“ schrie Godefrois de Charny.
Jean de Saint-Florent sprang aus dem Sattel und bahnte sich einen Weg durch die Menschen, die sich auf der Seinebrücke drängten. Verzweifelte, wahnsinnige Gedanken an Rettungsversuche schossen ihm durch den Kopf. Er erreichte die Brüstung, klammerte sich an das Geländer, sah, dass es zu spät war. Als eine übergroße Fackel erleuchtete der Scheiterhaufen die Nacht. Er merkte, dass Yvo das Gesicht in seinen Mantel presste. Hart fasste er ihn an den Schultern.
„Nein, Yvo! Seht es Euch an!“ flüsterte er, selbst mit den Tränen kämpfend. „Seht es Euch an, denn vielleicht müssen wir einmal das gleiche erdulden!“
Der junge Mann starrte mit zusammengepressten Lippen in die Flammen und den Rauch, der sich für ihn zum Bild des Königs zu formen schien, damals... Er glaubte, die eisigen Augen aus dem Feuer auf sich gerichtet zu sehen und selbst das Scharren der Hufe seines Reittiers zu hören... und dessen entsetztes, qualvolles Wiehern, als der Pfeil der Armbrust seinen Hals durchbohrte und es straucheln ließ, König Philipp mit sich zu Boden reißend...
„Ich hätte IHN töten sollen!“ dachte Yvo. „IHN, nicht sein Pferd!“
Betroffen schauten die Pariser dieser Hinrichtung zu. Ohne allen Spott, der sonst so leicht über ihre Lippen kam. Ohne alle Freude an der Sensation, der sie sonst so gern nachjagten. Bis nur noch ein Häuflein Asche in die Nacht glühte.
Sich bückend, um nicht an den Türsturz zu stoßen, traten Jean und Yvo in die ärmliche Kammer in der Pariser Judenvorstadt. Ranulf lief ihnen entgegen. „Gelobt sei Jesus Christus!“
„In Ewigkeit Amen. - Ihr wisst es schon?“ fragte Jean.
Bruder Ranulf nickte. „Ich war dabei. Auch heute morgen, als Meister Jacques und der Provinzmeister widerrufen haben. - Kommt, setzt Euch! - Der König hat sie verurteilt“, fuhr er fort, „Ohne die Entscheidung der Kirche abzuwarten!“
„Nun, das Urteil Philipp de Marignys wäre kaum anders ausgefallen.“
Ranulf füllte einen Becher mit Wein und reichte ihn Yvo, dem der Schrecken noch immer im Gesicht geschrieben stand.
„Es ist wohl nicht zu erwarten, dass Papst Clemens dagegen protestiert“, sagte Jean. „Nach allem, was man hört, rechnen die Kardinäle täglich mit seinem Tod.“
„So hat der Tempel zwei neue Märtyrer!“
Eine Weile saßen sie einander stumm gegenüber. Nur das leise Knistern der brennenden Kerze war zu hören, und das Pfeifen der Ratten draußen auf der Strasse.
„Ich soll Euch grüßen von allen Brüdern in Spanien und Portugal“, ergriff Jean dann wieder das Wort.
„Ich danke Euch! Erzählt, wie geht es Sire Jocelin? Er ist doch am Leben, oder?“
„Oh ja.“ Für einen kurzen Augenblick waren Jean de Saint-Florents Erinnerungen angenehmerer Natur, aber das Lächeln misslang ihm. „Er ist Kastellan an der Grenze, an der Pilgerstrasse des Heiligen Jakob. Als ich ihn zuletzt besuchte, erwartete Ghislaine gerade ihr zweites Kind. Jocelin hat begonnen, die
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