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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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benenstad als ein Pestloch, in dem man nicht genug Vorsichtsmaßnahmen treffen konnte.
    Die Holländer, die dort ihre Büros hatten, pflegten sich schon am Morgen mit einem großen Glas Genever zu stärken, dann saßen sie den ganzen Tag hinter geschlossenen Jalousien, um die Hitze auszusperren, und tranken ein Glas nach dem anderen, und kaum war der Abend hereingebrochen und die unerträgliche Hitze wich einem milden Lüftchen, musste man schon wieder alles verrammeln, weil die Nachtluft Fieber brachte. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts hatten die Kolonialherren die verfallene und ungesunde Altstadt aufgegeben und ein neues Stadtzentrum weiter südlich gebaut. Batavia war nun eine Stadt mit zwei Zentren: Die Kota mit ihren Kontorhäusern und Warenspeichern und ihrem Hafen blieb das Geschäftszentrum, während das höher gelegene Weltevreden die neue Heimstatt für die Regierungsgebäude, das Militär und die Einkaufsstraßen wurde. Stolz trug dieses neue Stadtzentrum den Namen De Koningin van het Oosten  – die Königin des Ostens. Die einzigen Menschen, die jetzt noch ständig in der Altstadt wohnten, waren bettelarme Javaner, Mulatten und vor allem die Chinesen, die dort ihr eigenes Viertel hatten, den Glodok, der einst außerhalb der Mauern von Altbatavia gelegen hatte und sich nun als gewaltiger Fremdkörper in die Stadt schob.
    »Gehen Sie dort bloß nie hin!«, warnte der Kutscher. »Fremde verschwinden einfach, sie betreten einen Laden und werden nie wieder gesehen!«
    Anna Lisa musste daran denken, wie der Kapitän der Anne-Kathrin ihnen verboten hatte, in den arabischen und afrikanischen Häfen von Bord zu gehen, damit sie nicht von Sklavenhändlern verschleppt wurden, und sie fragte, ob es in der Chinesenstadt ebenso gefährlich sei. Fing man dort auch weiße Frauen ein, um sie an Bordelle zu verkaufen?
    Der Kutscher verneinte. »Nein, die Chinesen haben kein Interesse an weißen Frauen. Wir Europäer erscheinen ihnen abgrundtief hässlich. Langnasen nennen sie uns, und wenn in einem ihrer Theaterspiele eine ordentlich hässliche Figur vorkommen soll, dann hat die ein weißes Gesicht und eine Nase wie ein Hanswurst. Aber sie sind ein verstohlenes und verschlagenes Volk, immerzu mit Geheimnissen beschäftigt und jederzeit bereit, einen verschwinden zu lassen, der aus Zufall oder Absicht Wind von ihren Plänen bekommen hat. Ihre Geheimbünde sind gefährlich und grausam. Man begegnet ihnen mit großem Misstrauen.« Deshalb, so fuhr er fort, hatten holländische Extremisten 1740 ein Pogrom gegen Chinesen veranstaltet und an die Tausend von ihnen niedergemetzelt, und im Grunde könnte es jederzeit wieder geschehen. Und da er selbst ein Holländer war, fügte er hinzu: »Die Chinesen sind hier bei allen verhasst, bei den Weißen ebenso wie bei den Javanern. Es stimmt ja, sie sind fleißig und klug, aber geldgierig und nur an ihrem eigenen Profit interessiert.« Sie würden sich niemals assimilieren, also wäre es wohl besser, wenn sie gleich und freiwillig gingen, bevor sie ein zweites Jahr 1740 erlebten.
    Anna Lisa hatte ohnehin nicht die Absicht, die Kota jemals wieder aufzusuchen und den Glodok schon gar nicht. Sie atmete auf, als die Altstadt mit ihren Kontorhäusern, Speichern und Warenlagern hinter ihnen zurückblieb. Die Kutsche fuhr nun eine gepflegte Straße an einem Flüsschen entlang, dem Moltenvliet-Kanal, der bereits um vieles sauberer wirkte als die stinkenden Grachten. Dann arbeitete sie sich in breiten Serpentinen hangaufwärts zu einer dicht besiedelten Hochebene hinauf und eine vornehme Straße entlang, die von Palmen und Rasenstreifen gesäumt wurde. In den Gärten und um die Häuser war einheimisches Personal am Werk, Gärtner in kurzen, bunten Hosen und mit Turban, Dienstmädchen im farbenfrohen Sarong, aber die Kindermädchen waren Weiße, und auch das höhergestellte Personal schien, soweit sie das beim flüchtigen Vorbeifahren erkennen konnte, ein Import aus der alten Heimat zu sein.
    Nach einer Weile kamen sie auf einen großen, viereckigen, von Gebäuden eingeschlossenen Platz, in dessen Mitte ein Standbild des Löwen von Waterloo prangte. An den Platz grenzten Kasernen, ein Gefängnis und eine Zitadelle sowie viele Gebäude, die offenbar die Büros von Militär- und Zivilbehörden beherbergten, denn an den Türen standen Männer in europäischen Uniformen, und durch die Türen strömten elegant gekleidete Europäer hinein und hinaus. Das musste Weltevreden sein, das erste

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