Die Traenen des Mangrovenbaums
Stadtviertel, das auf der Ebene oberhalb des Sumpfes gebaut worden war.
Der neue Stadtteil konnte es tatsächlich mit jeder europäischen Stadt aufnehmen. Sogar eine Dampftrambahn gab es. Beeindruckt blickte die junge Deutsche auf das von Palmen und Banyan-Bäumen beschattete Gebäude des Concordia Military Club, einen imposanten Marmorbau an der Südseite des Waterloo-Platzes, direkt gegenüber dem Palast des Generalgouverneurs. Hier in Batavia war die weite Welt zu Hause, das spürte man.
Sie fuhren schließlich bei einem mehrstöckigen Gebäude mit ockerfarbener Fassade vorbei, das sich aus einem Kranz im Wind fächelnder Palmen erhob. Die Schrift über dem Eingang kennzeichnete es als »Hotel des Indes«. Der Kutscher hielt sein Gefährt an.
Eine schreckliche Nachricht
A nna Lisa, die inzwischen todmüde war von den neuen Eindrücken und der brütenden Hitze, seufzte zutiefst erleichtert auf, als sie sich nach all der Fremdartigkeit in einer beinahe europäischen Umgebung wiederfand. Nur die Palmen und der reiche Blumenschmuck unterschieden das Hotel des Indes von einem ähnlich vornehmen Etablissement in Hamburg. Bunte Teppiche bedeckten den Boden, lebhaft gemusterte Batikdecken das Doppelbett, über dem ein Moskitonetz hing. Eine schmale Tür führte in ein Badezimmer. Ein richtiges Badezimmer! Am liebsten hätte sie sich sofort in die Wanne gestürzt, aber bereits am Empfang hatte man ihnen mitgeteilt, dass der Abgesandte von Buitenhus auf sie wartete. Also machten sie sich nur rasch frisch und gingen hinunter in den Speisesaal, wo bereits zum Abendessen gedeckt wurde.
Ein hochgewachsener Mann mit dicht gelocktem, hellbraunem Haar und einem zottigen Schnauzbart trat auf die beiden jungen Leute zu und fragte mit einer knappen Verbeugung: »Mijnheer und Mevrouw Vanderheyden?« Für den Verwalter einer reichen Kaffeeplantage sah er ein wenig unzivilisiert aus in seinem Kaki-Reitanzug und den übers Knie reichenden Raulederstiefeln, auch war sein Haar auffallend lang – es fiel ihm beinahe bis auf die Schultern –, aber sein Gesicht war sympathisch und seine Stimme angenehm. Anna Lisa mochte ihn auf Anhieb.
Simeon, dem die strapaziöse Kutschenfahrt schwer zu schaffen gemacht hatte, nickte nur mürrisch und ließ sich mühselig auf einem der geschnitzten Stühle nieder. Ein beflissener Diener brachte sogleich eine Flasche Genever und Gläser und schenkte dem Herrn ein Glas ein. »Ich dachte, Mr. Wolkins würde uns im Hafen abholen!«, beschwerte er sich. »Stattdessen schickt er Sie, einen Herrn, dessen Name mir unbekannt ist …«
Der Schnauzbärtige zögerte einen Augenblick lang. Offensichtlich fiel es ihm nicht leicht, die folgenden Worte über die Lippen zu bringen. Schließlich zog er sich einen Stuhl heran, nahm Platz und sagte mit gedämpfter Stimme: »Ich komme in Vertretung von Mr. Wolkins. Mein Name ist Edgar Zeebrugge. Ich bin sein Nachbar … mein kleines Landgut liegt gleich neben der Kaffeeplantage.«
»Und warum kommt er nicht selbst?«
Zeebrugge griff, ohne zu fragen, nach der Flasche mit dem Genever und schenkte sich ein Glas ein. Er stürzte den scharfen Schnaps hinunter wie Wasser. »Ich habe keine guten Nachrichten für Sie, Mijnheer Vanderheyden. Mr. Wolkins ist tot. Es gab einen Ausbruch von Typhus in unserer Gegend, und er fiel der Krankheit zum Opfer.«
»Und wer leitet jetzt die Plantage?«
»Niemand. Sehen Sie … die Epidemie hat viele Arbeiter dahingerafft, und die Überlebenden sind geflohen, Europäer wie Einheimische. Die Kaffeeernte ist verdorben … Sie wissen, wie empfindlich die Sträucher sind. Die gesamte Plantage ist unter Quarantäne gestellt. Das Gutshaus auch. Sie können dort nicht wohnen.«
Eine gute Minute lang schien es, als hätte Simeon überhaupt nichts von dem Gesagten begriffen. Er saß reglos da, den dunklen Blick nachdenklich auf den Fremden gerichtet, das schöne Gesicht ausdruckslos. Anna Lisa wagte kaum zu atmen. Sie spürte, dass diese unnatürliche Ruhe mit einem Unheil enden musste. Und dann geschah es. Ohne ein Wort zu sprechen, hob Simeon die Hand, in der er das bauchige Geneverglas zwischen Tisch und Mund hielt, und schmetterte das Glas auf die Tischplatte. Scherben flogen, der beißende Alkohol spritzte, und mit ihm Blut – nicht ein paar Tropfen, sondern ein dicker, pulsierender Strahl! Als er in seiner sinnlosen Wut das Glas zerschlug, hatte ein scharfer Splitter die Pulsader durchtrennt.
Simeon schien es nicht wahrzunehmen.
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