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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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ihrem kranken Mann zurück.
    Edgar Zeebrugge hatte sich diskret in einen Winkel des Zimmers zurückgezogen, während der Doktor seine Arbeit getan hatte. Jetzt trat er wieder hervor. »Soll ich Sie allein lassen und morgen wiederkommen, Frau Vanderheyden, oder …« Jetzt, da er mit ihr allein war, sprach er sie auf Deutsch an, das ihm ebenso fließend über die Lippen kam wie zuvor das Holländische.
    »Nein, bitte bleiben Sie.« Anna Lisa wies mit zitternder Hand auf einen Sessel. »Ich muss wissen, was geschehen ist.« Jetzt erst fühlte sie, wie der Schrecken von ihr Besitz ergriff. Sie fror wie im tiefsten Winter, ihre Knie wackelten so heftig, dass sie sich rasch auf den Bettrand setzte, um nicht am Ende noch umzukippen. Mit einem schwachen Lächeln fügte sie hinzu: »Ich glaube, ich habe das alles noch gar nicht richtig begriffen.«
    Zeebrugge nickte. Er klingelte nach dem Kellner und orderte Genever für sich und Eiswasser mit Limettensaft für die Dame. Er fragte, ob er rauchen dürfte, und auf das zustimmende Nicken der jungen Frau hin entnahm er seinem Etui eine dicke, in zerknittertes, gelbliches Papier gerollte Zigarette, deren Äußeres Schlimmes ahnen ließ, was ihren Geruch anging. Tatsächlich erfüllte sie den Raum mit einem exotischen Aroma, das an gedörrten und auf kleiner Flamme gerösteten Kameldung erinnerte.
    Dann setzte er sich und begann zu berichten. »Sie können die Ereignisse im Java-Bode und den Lokalzeitungen nachlesen. Vor etwa einem Monat kam es zu einem örtlich begrenzten Ausbruch von Typhus in dem Gebiet um die Kaffeeplantage. Das ist hier nichts Ungewöhnliches, wir haben ständig mit der Seuche zu kämpfen. Es liegt am Wasser. Die Einheimischen trinken bedenkenlos aus denselben Bächen und Tümpeln, in denen sie ihre Wäsche waschen und sogar ihre Notdurft verrichten, und selbst viele Brunnen der Europäer sind unsauber. Ein unbedachter Schluck von nicht abgekochtem Wasser genügt, dass man von Malaria, Ruhr, Typhus oder Bandwürmern befallen wird. So passierte es eben auch auf Vanderheydens Plantage. Wolkins war einer der Ersten, die starben, und mit seinem Tod brach das Chaos aus. Die Arbeiter flüchteten nach allen Richtungen. Niemand kümmerte sich um die Pflanzung, und Ihr Gatte hat Ihnen gewiss gesagt, dass Kaffeesträucher sehr empfindlich sind; wenn sie nicht ständig gepflegt werden, verderben sie. Sie hätten die Ernte allerdings ohnehin nicht verkaufen können, weil sie aus einem Seuchengebiet stammt.«
    Anna Lisa nickte. »Haben Sie Herrn Vanderheyden – ich meine den alten Herrn – informiert?«
    »Nein, so gut standen wir nicht miteinander, aber seine Bank weiß Bescheid und wird ihm sicherlich ein Telegramm geschickt haben. Ich habe allerdings zwei meiner Männer vor dem Tor Ihrer Plantage postiert, damit wenigstens nicht geplündert wird – obwohl ich annehme, dass das scheußliche Schreckgespenst des Typhus ein besserer Torwächter ist als selbst meine bewaffneten Burschen.«
    Als Anna Lisa nicht antwortete, fuhr er fort: »Sie werden jetzt vermutlich abwarten wollen, bis Ihr Gatte wieder gesund ist … Ich sah übrigens, dass er gehbehindert ist?«
    »Ja …« Sie brach in Gelächter aus – ein Gelächter, das rasch in ein Schluchzen überging. »Uns ist mitten in den Hochzeitsfeierlichkeiten eine Dekoration auf den Kopf gefallen, und er ist die Treppe hinuntergestürzt und hat sich das Bein verstaucht. Und jetzt das auch noch … Ein bisschen viel Pech, nicht wahr?« Mit aller Kraft zwang sie die Tränen zurück und wischte sich die Augen ab. »Wie weit ist es denn von hier bis zu der Plantage?«
    »Etwa zwei Stunden zu Pferd. Allerdings glaube ich nicht, dass Ihr Gatte imstande wäre …«
    »Natürlich nicht. Aber ich kann reiten.«
    Er blickte sie überrascht an. »Sie wollen … Das ist ungewöhnlich, gnädige Frau.«
    »Warum? Ich habe eigens reiten gelernt, weil man mir sagte, dass man hier sehr viel im Sattel sitzt.«
    »Das stimmt natürlich, ja …« Zögernd fügte er hinzu: »Für die Gattin oder Tochter eines alt eingesessenen Pflanzers wäre es nicht ungewöhnlich, aber Sie sind eben erst aus Deutschland angekommen, und Sie sind so jung und so … so mädchenhaft.«
    Püppchen . Das Blut stieg ihr heiß in die Wangen. Wenn die Damen der Kolonialherren durch den Dschungel reiten konnten, warum sollte sie es nicht können?
    In steifem, fast feindseligem Ton antwortete sie: »Wenn das alles so ist, wie Sie mir eben berichteten,

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