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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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gar nicht aufmachen, ganz im Gegenteil, es floh dann jeder, der konnte, aus der Stadt, denn mit der Dämmerung stiegen die Fieberdämonen aus den Sümpfen auf.
    Er war dem Rat erfahrener Kolonialherren gefolgt und hatte sich so rasch wie möglich auf den Weg zur Hochebene gemacht, wo die Luft gesünder war, aber dort hatte es ihm auch nicht gefallen. Nirgends schien der Boden wirklich fest zu sein. Heißer Schlamm wallte auf, wo das Pferd seine Hufe hinsetzte. Auf Schritt und Tritt blubberten Schwefelquellen und winzige Schlammvulkane aus dem Boden, die einen Würgereiz hervorrufenden Gestank nach faulen Eiern verbreiteten. Und was ihn beinahe wahnsinnig gemacht hatte, war das ewige Rumpeln und Grollen der unruhigen Berge. Einmal lauter, einmal leiser, manchmal nur ein kaum noch hörbares Hintergrundgeräusch, aber ständig gegenwärtig. Dabei war es auf der Hochebene über der Küste entlang der Sundastraße noch harmlos im Vergleich zu den Orten, die in der Nähe der hohen, Feuer speienden Berge lagen wie der Kelud, der Guntur, der Merapi und der Lamongan. Die Sundastraße war zwar auch gespickt mit Vulkanen, aber sie waren klein und ihre Ausbrüche weitgehend harmlos, nur ein lästiges Hindernis für die Schifffahrt.
    Henry Wolkins, der die Plantage für ihn verwaltete, hatte ihm erzählt, dass die gesamte Insel ihre Existenz den Ausbrüchen dieser Vulkane verdankte. Sie wurde ständig größer, denn sooft die Vulkane an ihren Rändern ausbrachen, schleuderten sie glühende Lavamassen in die Höhe, die dann hinunterflossen zum Meer und dort im Wasser erstarrten. Im Landesinneren wiederum war es die Vulkanasche, hatte Wolkins gesagt, die den Boden so unglaublich fruchtbar machte. Unter den Kolonialherren ging der Witz um: Wenn man auf Java etwas anpflanzte, musste man schnell zurückspringen, damit einem die Schösslinge nicht ins Gesicht fuhren.
    Wolkins hatte bereits einen Vulkanausbruch miterlebt, denn jenseits des breiten Tales hinter der Hochebene erhob sich ein Feuerberg, ein kahler brauner Kegel, den die Holländer wegen seiner geringen Größe und seiner häufigen, lärmenden Ausbrüche den Blaaskaak, »Wichtigtuer«, nannten. Er war vergleichsweise klein, immer wieder aktiv, ohne besonders gefährlich zu sein, ständig vor sich hin knurrend wie ein übellauniger Hund, nur einmal war seine Aktivität höchst bedrohlich gewesen. Der Schlot, hatte Wolkins seinem Brotherrn erzählt, spuckte damals Steine und Schlick und flüssiges Gestein, sodass es am hellen Tag finster wurde wie in einer Winternacht. Und es sah zudem aus, als hätte es geschneit, denn aus dem verdunkelten Himmel fielen Unmengen feiner, grauweißer Asche.
    Der sonst so unerschütterliche Engländer hatte sich nur mit lebhaftem Unbehagen an diese Tage erinnert. »Sand und kleine Steine fielen so dicht, dass wir nichts mehr sehen konnten … Einen Augenblick lang war der Himmel tintenschwarz, im nächsten flammte er wie von tausend Blitzen zugleich. Überall waberte schwefliger Dunst. Heftige Druckwellen prallten eine nach der anderen gegen das Haus, dass die Mauern ächzten und die Dachbalken knarzten.« Eines Tages, hatte Wolkins prophezeit, »wird die ganze verdammte Insel in die Luft fliegen wie ein brennendes Pulverschiff«.
    Bartimäus schnaufte unwillig bei der Erinnerung. Dann verzerrte ein hässliches Lächeln sein breites Gesicht. Ja, das war genau der richtige Aufenthaltsort für seinen Sohn. Hoffentlich flog das Pulverschiff in die Luft, während er dort war.
    Dann klingelte er nach dem Diener und befahl, seinen Buchhalter ins Kontor zu rufen.
    Godfrid Brägens erschien mit raschen, leichten Schritten. Wie Bartimäus in seiner Jugend war der uneheliche Sohn auf eine herbe Weise attraktiv, kurzbeinig und breitschultrig, blauäugig, blond, mit einem markanten Gesicht, ein Mann, der Kraft und Dominanz ausströmte. Obwohl er nur mittelgroß war, schien es oft, als ob er andere auch körperlich weit überragte. Die Seeleute hatten eine hohe Meinung von ihm, obwohl er kein Seemann war, und die Frauen waren verrückt nach ihm, obwohl sie wussten, dass er zur Grobheit, ja, zur Grausamkeit neigte. Als er die Tür hinter sich schloss und höflich, aber selbstbewusst vor den Handelsherrn hintrat, tat er es als die Verkörperung all der geheimsten Wünsche, die dieser je gehegt hatte.
    Wieder fühlte Bartimäus den Hass in sich aufsteigen, den er gegen seinen legitimen Sohn empfand. Es war ihm, als hätte Simeon auf irgendeine hinterlistige,

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