Die Traenen des Mangrovenbaums
Er hatte jetzt schon genug versteckten Spott zu ertragen. Da war Godfrid auf den Gedanken gekommen, ihn ins ferne Java abzuschieben, wo nichts, was er anstellte, einen Widerhall in Deutschland oder Holland fand. Vor der Öffentlichkeit stand er da als Inhaber eines ehrenvollen Amtes, als Statthalter seines Vaters und Schwiegersohn eines mächtigen deutschen Reeders. In Wirklichkeit verschwand er samt seiner jungen Frau im Dschungel, kontrolliert von der eisernen Faust des getreuen Henry Wolkins.
Man hätte meinen können, dass Godfrid seinen Halbbruder hasste, der doch zwischen ihm und der Verwirklichung all seiner Träume stand. Er war jedoch ein viel zu pragmatischer Mensch, um seine Zeit mit Gefühlen zu verschwenden. Was ihn anging, konnte der arme Narr in Java glücklich werden. Ihm war nur wichtig, dass der Stolperstein aus dem Weg geräumt wurde, dass der unnütze Nebenbuhler verschwand. Wenn man lange genug nichts von ihm sah und hörte, würden die Leute sich daran gewöhnen, in Godfrid Brägens den rechtmäßigen Nachfolger auf dem Thron der Kaffee-Handelsgesellschaft zu sehen. Erst Buchhalter, dann Geschäftsführer und rechte Hand des alten Kaufmanns, dann Kompagnon.
Godfrid seufzte. Das Problem Simeon war so gut wie gelöst. Jetzt konnte er sich einem weitaus ernsteren Problem zuwenden: seiner Mutter. Die wohnte zwar nach wie vor in Batavia, aber sie hing mit einer Affenliebe an ihm, die ihm einerseits schmeichelte, ihm aber andererseits immer wieder Ärger bescherte. Ständig schmiedete sie Pläne, wie sie es erreichen könnte, dass er und Simeon die Plätze tauschten. »Ich tue doch alles nur für dich, damit du zu deinem Recht kommst!«, schrieb sie in ihren langen Briefen jedes Mal, wenn er sie zur Vernunft zu bringen versuchte. Schönes Recht! An den Galgen würde sie ihn bringen. Wenn Simeon und seine junge Frau von Mörderhand aus dem Weg geräumt wurden, wen würde man denn dann als Ersten verdächtigen? Ihn, Godfrid Brägens!
Vorderhand aber waren ihm die Hände gebunden. Er konnte nicht nach Batavia reisen, um die närrische Alte zur Räson zu bringen, und er hatte dort keine Vertrauten, in deren Hände er die heikle Aufgabe legen konnte. Auch Bartimäus Vanderheyden konnte ihm dabei nicht helfen. Bartimäus war die Erinnerung an Delphine Lafayette so widerwärtig, dass er nichts mehr von ihr hören und sehen wollte. Er hatte das Seine getan, als er den Jungen zu sich nahm, der als Waise in der Welt zu stehen drohte – der nominelle Vater, Herr Brägens, tot und vergiftet, die Mutter unter schwerer Anklage im Gefängnis. Darüber hinaus war er froh, dass alle die tiefen Wasser des Indischen Ozeans zwischen ihm und der Frau lagen, mit der er einst das Bett geteilt hatte.
Nein, Godfrid würde allein einen Weg finden müssen.
Braut und Bräutigam
U nd du wirst tatsächlich den Holländer nehmen?«
Drei junge, neugierige Gesichter hatten sich Anna Lisa Lobrecht zugewandt, mit einem Ausdruck, als wären sie Besucher eines Pferderennens, die atemlos den Zieleinlauf beobachteten. Die vier Fräulein aus der besten Hamburger Gesellschaft saßen im Schatten einer Ulme im Garten der Villa Lobrecht und hielten auf dem gepflegten Rasen ein Picknick ab. Vor dem dunkelgrünen Hintergrund der Büsche und Bäume, die den Rasen säumten, wirkten sie in ihren reich gefältelten und gebauschten Sommerkleidern aus Taft, Seide und Organza wie vier bunte, flauschige Bälle, die der Wind dorthin geweht hatte. Die Sonnenschirme lagen säuberlich gefaltet am Rand der Decke, denn unter der riesigen Ulme, die schon den Urgroßeltern Lobrecht Schatten gespendet hatte, brauchte keine noch so zarte Haut die Sonnenstrahlen und ihre bösen Folgen, die Sommersprossen, zu fürchten. Auf einem mächtigen Silbertablett, das ein Geschäftsfreund der Familie Lobrecht als Geschenk aus Java mitgebracht hatte, standen das Teegeschirr und die Schalen mit belegten Brötchen und Gebäck. Die beiden Dienstmädchen, die serviert hatten, waren auf einen Wink hin verschwunden. Die Damengesellschaft wusste genau, wie die Domestiken die Ohren spitzten, wenn es um ein Thema wie die Verlobung der Haustochter ging. Ein unbedachtes Wort, und ganz Hamburg würde Bescheid wissen – oder jedenfalls jener Teil Hamburgs, der sich für die Familienangelegenheiten der Reederei Lobrecht interessierte.
»Mein Vater findet, dass er der Beste ist«, erwiderte Anna Lisa wohlerzogen. »Und ich vertraue meinem Vater vollkommen.«
»Lass uns das Bild
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