Die Traenen des Mangrovenbaums
gestiefelten Schritte der Männer hereinpolterten, flohen die ungeladenen Gäste keifend und quiekend durch das offene Fenster, die Backen vollgestopft mit Früchten und süßem Gebäck.
Bedrückt von einem Gefühl würgenden Unbehagens betraten die Beamten und der Polizeiarzt das Schlafzimmer. Nur zögernd trat der Kontrolleur an das Himmelbett heran und zog die geblümten Cretonne-Vorhänge zur Seite. Die dumpfe Wärme, die sich in der Nacht in dem Alkoven angesammelt hatte, quoll heraus, gesättigt von einer Wolke ekelhaften Geruchs, gefolgt vom Wispern und Rascheln unsichtbaren Ungeziefers, das sich wegen der Störung in aller Eile davonmachte. In den Tropen dauerte es nie lange, bis Käfer, Würmer, Skorpione und Ratten über alles herfielen, was ihrer Gier keinen Widerstand entgegensetzte.
Die Vorhänge wurden abgenommen, die Decken zurückgeschlagen, um freie Sicht auf die Leiche zu gewähren. Was immer Madame Lafayette getötet hatte, war mit der Eigenschaft begabt, eine rasche Zersetzung herbeizuführen, denn der Verfall war weiter fortgeschritten, als man selbst bei der feuchten Wärme erwarten konnte. Die Männer hielten ihre Taschentücher vors Gesicht. Da außer ihnen niemand anwesend war, brauchten sie sich vor niemand für ihre Schwäche zu schämen. Selbst der Polizeiarzt drückte sich ein Tuch auf die Nase, als er sich über den Leichnam beugte.
»Weiß jemand, zu welchem Schrank dieser Schlüssel gehört?«, fragte er, wobei er mit der Spitze seines Spazierstocks ein Kettchen aufhob, das der erschlaffenden Hand entfallen und auf das Laken gerutscht war. Ein zierliches goldenes Schlüsselchen hing daran. »Vielleicht erfahren wir daraus etwas über ihr Ende.«
Man suchte das Zimmer ab, und es dauerte nicht lange, bis den geschulten Augen der Polizisten ein Schlüsselloch in der Palisander-Täfelung auffiel, halb verdeckt durch eine massive Quaste, die von einem Stück Posament darüber herabhing. Der Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt – er passte. Als man ihn drehte, schwang ein Stück der Täfelung nach außen und gab den Blick frei in einen Schrank, dessen Rückwand aus einem Spiegel bestand. Zu einem großen Teil enthielten die Flaschen, Dosen und Tiegel darin die harmlosen Toilettengeheimnisse einer alternden Frau, aber in einer mit »Parfüms« beschrifteten Holzkiste fanden sich andere, üble Geheimnisse.
Der Polizeiarzt, der diese Fläschchen begutachtete, trat einen Schritt zurück und verwehrte es den anderen, näher zu kommen, indem er sie mit seinem waagrecht gehaltenen Spazierstock zurückdrängte. »Halt!«, befahl er mit ernstem Gesicht. »Keinen Schritt weiter! Das sind gefährliche Gifte, es könnte Sie schon das Leben kosten, nur ihren Dunst einzuatmen!«
Die Männer wichen beklommen zurück. Unwillkürlich richteten sich aller Augen auf die so grässlich entstellte Leiche auf dem üppigen Bett. Kein Zweifel: Die unnatürlichen Veränderungen waren der Wirkung ebenjener Gifte zuzuschreiben, die man soeben in dem Schränkchen entdeckt hatte.
Van Schujten spürte, wie ihn eine Welle unbehaglicher Erregung durchschauderte. Was für ein saftiger Skandal würde das werden! Selbstmord! In der guten Gesellschaft beging man nicht Selbstmord. Der Kontrolleur fragte sich, wie viele Selbstmorde jedes Jahr von entgegenkommenden Hausärzten als Unfälle getarnt wurden. Kein Wunder. Ein Hausarzt, der »Selbstmord« in den Totenschein schrieb, hätte sich eine andere Klientel suchen müssen. Es war immer ein Unfall, wenn jemand aus dem Dachfenster stürzte oder Karbolsäure trank. Die Arbeiter und armen Leute, ja – solche Leute nahmen sich zuweilen das Leben, aber in den niederen Schichten ging es ja überhaupt ungeordnet und sittenlos zu.
»Gerede gab es schon immer«, murmelte der Polizeibeamte, der dem Bett am nächsten stand. »Der Tod des Mijnheer Brägens, der ihr so viel Geld hinterließ … und erinnert ihr euch an den Leutnant, der in aller Öffentlichkeit ausrief, sie würde eines Tages in der Hölle neben der ruchlosen Prinzessin Mahendradatta sitzen – und der bald darauf einen elenden Tod starb?«
»Man könnte noch einige mehr aufzählen!«, ergänzte ein anderer Beamter. »Aber das Gesetz verfolgt die Toten nicht, also haben wir hier nichts weiter zu tun, als dass Sie« – dabei wandte er sich an den Arzt – »den Tod feststellen und die Advokaten sich darum kümmern, wie es um ihr Vermögen steht.«
Sie waren bereits beim Aufbruch, als ein Wachtmeister
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