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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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würde für immer ein Wrack bleiben. Körperlich schien er um Jahrzehnte gealtert, und das Licht seines Verstandes flackerte trübe in der Finsternis, mit der die Schreckensvisionen ihn verdunkelten.
    Dr. Liao kündigte an, er würde sich um die Herstellung eines Heilmittels bemühen, das die Halluzinationen dämpfte oder sogar vertrieb, aber das würde seine Zeit dauern. Der alte Mann war selbst völlig erschöpft von den in unermüdlicher Fürsorge durchwachten Nächten. Er schlug vor, den Patienten ins Rosenhaus zurückzubringen, sein Gehilfe würde sie begleiten und ihn versorgen, bis er selbst sich wieder so weit erfrischt hatte, dass er sich um ein Heilmittel kümmern konnte. Anna Lisa fuhr der Gedanke durch den Kopf, ob er am Ende vorhatte, ihnen neuerlich das abscheuliche Galgenmännlein aufzuschwatzen; aber er tat nichts dergleichen. Erst einmal, sagte er, müsse er selbst ruhen, bis Körper und Verstand wieder bei Kräften waren.
    Setiawan erwies sich als ein Majordomus, der jeder noch so bizarren Situation gewachsen war. Ohne mit der Wimper zu zucken, traf er alle nötigen Anordnungen, den todkranken Mijnheer zu versorgen. Der chinesische Helfer wurde im Haus untergebracht, eine metallene Badewanne beschafft, da Dr. Liao lange heiße Bäder verordnet hatte. Nach einem vorübergehenden Ruckeln lief das Räderwerk des Rosenhauses wieder so gut geölt wie zuvor.

Die Erbschaft
    B artimäus Vanderheyden erhielt das Telegramm mit der Nachricht vom Tod seines Sohnes in seinem Arbeitszimmer. Der Schreiber, der zu diesem Zeitpunkt bei ihm war, sah, wie er es ungeduldig aufriss, die wenigen Zeilen las – und dann erstarrte wie Lots Weib. Sein Gesicht, so erzählte es der junge Mann später jedem, der es hören wollte, verwandelte sich in das eines Sterbenden, es wurde aschgrau, und die Haut schien zu schrumpfen, sodass die Barthaare in ihren Poren wie in Löchern steckten, die Lippen verfärbten sich, und die Augen sanken tief in ihre Höhlen.
    »Er war schon ein toter Mann, als er die Botschaft las«, behauptete der Jüngling, und er hatte recht. In den wenigen Sekunden, die er brauchte, um den Inhalt des Telegramms zu begreifen, starb in Bartimäus Vanderheydens Herzen alles, wofür er je gelebt hatte. Was er in seinem Leben erworben hatte, verlor seinen Wert, wie Feengold sich in Pferdemist und dürre Blätter verwandelt. Mit einem Schlag wurde ihm bewusst, dass alle seine Hoffnungen auf Godfrid geruht hatten, und dieser Schlag traf sein Herz und brach es.
    Der Schreiber, der ihn beobachtete, wagte nicht zu fragen, was Schreckliches in dem Telegramm stand; er wagte nicht, sich zu bewegen, ja, er wagte kaum zu atmen, um die Aufmerksamkeit des Alten nicht auf sich zu lenken. Selber starr vor Schreck, beobachtete er die Veränderung, die über Bartimäus kam. Der Finger des Todes hatte den Handelsherrn berührt, und zugleich mit seinem Inneren zerbrach auch sein Äußeres. Alle Kraft wich aus dem gedrungenen Körper. Vor den Augen seines entsetzten Schreibers alterte er. Das Telegramm entfiel seinen Fingern. Die Linke zog sich langsam zu einer Klaue zusammen und ruderte hilflos in der Luft herum, während zugleich die linke Hälfte seines Gesichts nach unten sackte wie nasser Ton. Der Mund hing schlaff herab und sabberte, der Hals drehte sich zur Seite, und Bartimäus, den seine Beine nicht mehr trugen, stürzte schwer zu Boden.
    Jetzt schrie der Jüngling das Haus zusammen. Diener kamen herbeigerannt. Man hob den halb Gelähmten auf, brachte ihn zu Bett, sandte nach dem Arzt. Der konstatierte, dass Bartimäus vom Schlag getroffen worden war. Auf die Frage, ob der Alte sich wieder erholen würde, zuckte er die Achseln. Es sei auf jeden Fall angebracht, den Pfarrer und den Rechtsanwalt der Familie zu holen und ein Telegramm nach Java zu schicken, das den Erben nach Hause beorderte.
    Es war Edgar Zeebrugge, der Anna Lisa das Telegramm brachte.
    »Vom Rechtsvertreter der Familie Vanderheyden«, sagte er. »Für Sie.« Er sagte nichts dazu, dass es eigentlich an Simeon gerichtet war. Wozu auch? Der konnte im Augenblick mit keinem Telegramm der Welt etwas anfangen.
    Anna Lisa studierte die knappen Zeilen, ohne vorerst deren Sinn zu begreifen. Nur allmählich dämmerte ihr, was das Telegramm für sie bedeutete. Bartimäus war tot, und Simeon war der Alleinerbe der gesamten riesigen Firma. Und wenn Simeon dem teuflischen Anschlag der Rangda erlag, war der nächste Erbe das Kind, das in ihrem Schoß heranwuchs.
    Das

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