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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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verräterische Geste zu spät bemerkt. »Ich bin noch nicht ganz sicher. Sie dürfen noch nichts verraten.«
    Weiterhin lächelnd legte Zeebrugge sich den Finger auf die Lippen. Dann geleitete er sie ins Haus, wo eine Magd sie in einen schmalen, abgedunkelten Raum mit einem Sofa führte. Erleichtert streckte Anna Lisa sich aus und schloss die Augen. Sie döste ein.
    Eine Stunde später weckten sie entsetzliche Schreie.
    Noch ganz benommen vom Schlaf, aber augenblicklich höchst alarmiert, stürzte sie hinaus, während Schreckensbilder sich in ihrem Gehirn jagten: Ein Waldbrand – ein Überfall von Räubern oder Rebellen – holländische Soldaten, die gekommen waren, um Edgar Zeebrugge zu verhaften.
    Aber nichts dergleichen war geschehen. Ein Teil der Festgäste floh nach allen Richtungen, während die Übrigen sich im Kreis um den Mann drängten, der diese furchtbaren Schreie ausstieß – und jetzt erkannte sie Simeons Stimme!
    Wie es ihr gelungen war, sich durch die Menschenmauer zu kämpfen, wusste sie selbst nicht, aber dann stand sie vor ihm. Er hatte sich an einen der Pfosten geklammert, die die Zeltdächer hielten, und immer wieder erbrach er sich mit qualvoller Heftigkeit, während er sich in Krämpfen zusammenkrümmte und in jedem Augenblick, in dem er Luft holen konnte, durchdringende Schmerzensschreie ausstieß. Anna Lisa sah die blanke Todesangst in seinen weit aufgerissenen Augen, und er zeigte die Zähne wie ein in die Enge getriebenes Tier.
    »Rangdas Zunge!«, schrie jemand. »Er hat von Rangdas Zunge gegessen!«
    Auf diesen Schrei hin setzte eine Massenflucht nach allen Seiten ein, als könnte das Übel jeden Augenblick einen anderen ergreifen. Während die Leute in ihrer Hast einander über den Haufen rannten, verlor Simeon den Halt an dem Pfosten. Er sackte auf dem Boden zusammen und wurde von Krämpfen geschüttelt, als schleuderte eine unsichtbare Hand eine leblose Puppe. Schaum quoll über seine Lippen, Schaum und Blut, als er sich auf die Zunge biss.
    Edgar Zeebrugge kam herbeigestürzt und beugte sich über den Unglücklichen. Er versuchte, ihn zu ergreifen, ihn festzuhalten, aber im selben Augenblick verstummten die Schreie, Simeon verdrehte die Augen, bis nur das Weiße zu sehen war. Seine Glieder erschlafften, der Kopf sank zur Seite, die Zunge hing ihm aus dem Mund, als sein Unterkiefer herabfiel.
    Godfrid Brägens betrat das weiß gekalkte Haus mit dem fächerförmigen Oberlicht, in dem seine Mutter wohnte. Sein hartes Gesicht war blass, sein Mund schmal wie eine Messerschneide. Er war ein Mann, der kaum Gefühle kannte, und so nahmen sein Schuldbewusstsein, sein Entsetzen und seine Abscheu die Gestalt einer heftigen Übelkeit an. Immer wieder musste er innehalten und schlucken, wenn ihm die Galle in den Mund stieg.
    Ohne anzuklopfen, betrat er den Salon. Eingerichtet im Empire-Stil mit seinem Übermaß an Samt und Marmor, Goldbeschlägen und pseudoägyptischen Ornamenten, war der Raum zudem überladen mit Lampen, Gemälden, Spiegeln, Kerzenleuchtern, Blumensäulen und Hockern, die kreuz und quer verteilt auf dem riesigen, jadegrünen chinesischen Teppich standen. Madame Lafayette saß in einem weißen, zierlich geblümten Hauskleid am Fenster und beschnitt mit einer Blumenschere einen Bund Rosen, die der Händler soeben gebracht hatte.
    »Simeon ist tot«, sagte er.
    Die Frau im Lehnstuhl sprang auf, dass ihre weiten Röcke rauschten. Plötzlich erschien sie ihm jung – mädchenhaft jung, als ein Leuchten des Triumphs über ihre Züge glitt.
    »Tot!«, rief sie. »Godfrid! Und nun bist du Herr über alles!«
    Sie eilte auf ihn zu, um ihn in die Arme zu schließen, aber er wich ihr mit einer knappen Bewegung aus und schenkte sich ein Glas von dem Genever ein, der auf dem Tisch bereitstand. Normalerweise ein vorsichtiger Trinker, stürzte er den hochprozentigen Schnaps hinunter wie Wasser und füllte sich sofort wieder nach.
    »Du hast nicht gefragt, woran er gestorben ist«, sagte er.
    Sie stutzte, dann lachte sie leise. »Ist das nicht gleichgültig? Er ist tot, und die Würmer werden ihn auffressen.«
    »Sein Fleisch wird den Würmern nicht gut bekommen«, sagte der junge Mann. Seine Stimme war kalt, sein Gesicht ausdruckslos wie eine Maske aus Lehm. Hätte Madame Lafayette einen aufmerksamen Blick auf seine Züge geworfen, so wäre sie gewarnt gewesen, aber sie konnte an nichts anderes denken als an ihren Sieg, und so entging ihr das frostige Funkeln in seinen Augen. »Er ist an

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