Die Traenen des Mangrovenbaums
Formular flatterte aus ihren kalten Fingern zu Boden. Edgar hob es auf und las. Eine rote Blutwelle stieg in seine Wangen und verebbte wieder, graue Blässe zurücklassend. Dann stieß er einen tiefen, seufzenden Atemzug aus und straffte die Schultern. Gewohnt, in kritischen Situationen rasch und zweckmäßig zu reagieren, sagte er: »Wir brauchen jetzt als Erstes Dr. Ascher. Er muss dafür sorgen, dass Ihr Mann sofort in alle seine juristischen Rechte eingesetzt wird.«
»Aber Simeon …«, wandte sie hilflos ein. »Diese riesige Firma … Er ist todkrank – und wahnsinnig.«
»Oh, das wird erst zu beweisen sein. Und nun kommen Sie, meine Liebe, wir müssen in die Stadt. Ein rasches Gespräch mit den Anwälten und Banken nützt Simeon mehr, als wenn Sie an seiner Seite sitzen.«
Die junge Frau trennte sich nur ungern von ihrem Gatten, sie hatte Angst, er könnte sterben, während sie gerade nicht bei ihm war, aber sie sah ein, dass Zeebrugge recht hatte. Alles lag jetzt in ihren Händen. Sie musste handeln.
Keine halbe Stunde später waren Zeebrugge und Anna Lisa unterwegs nach Weltevreden.
Dr. Julius Ascher ließ sich die Situation kurz durch den Kopf gehen, während er in seinen Ledersessel – in dessen wulstiger Umarmung er klein wie ein Kind wirkte – zurückgelehnt saß und geziert an einem Gläschen Likör nippte. Dann traf er seine Entscheidung.
»Verkaufen, was zu verkaufen geht. Sie können die Plantagen nicht bewirtschaften, und sie zu verpachten bringt Ihnen mehr Ärger als Nutzen. Außerdem wird dann sehr schnell die Frage gestellt werden, wie geschäftsfähig Ihr Gatte ist, und es kann Ihnen passieren, dass Sie sich in eine Flut von Prozessen verstrickt finden. Vorderhand können wir uns darauf berufen, dass er nur kurzfristig heftig erkrankt ist. Wenn er verkauft, wird man seine Unterschrift akzeptieren. Die beiden Plantagen im Osten reißt man Ihnen aus der Hand, die sind bestens im Schuss. Für Buitenhus wird es auch Interessenten geben, schließlich war die Plantage einmal erstklassig und wird es wieder sein. Damit haben Sie einen großen Haufen Bargeld und keine Sorgen.« Er setzte das Likörglas ab. »Und fürs Erste sollten Sie nicht nach Holland zurückkehren. Ich erkläre Ihnen, warum.«
Dem erfahrenen Anwalt war klar, dass es Schwierigkeiten geben würde, sobald die holländischen Firmenanwälte den Erben zu Gesicht bekamen. Schließlich gab es noch andere, wenn auch sehr entfernte Verwandte, die sofort die Gelegenheit nutzen würden, Simeons Ansprüche anzufechten. Deshalb schlug er vor, alles von Batavia aus zu arrangieren, und zwar so schnell wie möglich. Was einmal erledigt war, ließ sich nicht mehr so leicht rückgängig machen. Hatten die Plantagen erst neue Besitzer, so würden die schon dafür sorgen, dass man sie ihnen nicht wieder abnahm. »Mit Ihrem Einverständnis verkaufe ich die drei Plantagen an die Königlich-Niederländische Bank, da haben Sie auf jeden Fall einen zuverlässigen Geschäftspartner, und nachher ist es Sache der Banker, mit neuen Besitzern zu verhandeln. Das bleibt Ihnen alles erspart. Außerdem wird es den Aktien der Firma Vanderheyden guttun, wenn sich die Plantagen im Besitz einer Bank befinden und man nicht befürchten muss, dass der Erbe …« Er zögerte, dann zuckte er die Achseln.
Anna Lisa seufzte. Es war ja klar, was er meinte. Die Nachricht, dass Simeon das Firmenimperium geerbt hatte, hätte schon in dessen gesunden Tagen einen Kurssturz ausgelöst, von seinem jetzigen Zustand gar nicht zu reden.
»Am besten wäre es, die Firma in Bausch und Bogen zu verkaufen, solange sie noch ihren jetzigen Wert hat. Es gäbe da zwei oder drei Interessenten in der gemeenschap . Ich möchte aber auch hier vorschlagen, in erster Hand an die Bank zu verkaufen; erstens kann die so viel Geld sofort flüssig machen, was nicht jeder kann, und Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben. Damit Sie sicher sein können, nicht betrogen zu werden, werden die Kaufverhandlungen im Beisein des deutschen Konsuls und des hiesigen Vertreters Ihres Vaters geführt. Sind Sie einverstanden?«
Einen Augenblick lang wurde Anna Lisa übel, als die Last der Verantwortung auf ihre Schultern fiel. Dieses riesige Vermögen, die Plantagen, die Existenz von Arbeitern und Angestellten, der Wert der Aktien – was damit geschah, hing von ihr ab! Was für eine Groteske! Offiziell hatte sie keinerlei Verfügungsgewalt über das Erbe ihres Mannes, sie hatte kein gesetzliches
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