Die Traenen des Mangrovenbaums
vermischte mit den spitzzüngigen, lüsternen Bemerkungen ihrer Freundinnen und dem wohlgemeinten männlichen Rat, sie möge sich nur ihrem Ehemann anvertrauen, der würde alles Nötige wissen und tun. Mit einem Mal war ihr so ängstlich zumute, dass sie am liebsten davongelaufen wäre.
»Ich habe Sie erschreckt!« Sein dunkler Blick war schuldbewusst. Er blieb stehen, hob ihre Hand an die Lippen und küsste sie. »Mein Vater hat nicht unrecht, wenn er mir vorwirft, dass ich mich zuweilen wie ein Tölpel benehme. Verzeihen Sie mir!«
Anna Lisa war drauf und dran, ein weiteres Mal ein »ja gewiss« hervorzustottern, als zu ihrer immensen Erleichterung Carl Gustav hinter ihnen aufholte, seine Taschenuhr in der Hand. Er rief ihnen zu, es wäre allmählich an der Zeit, sich zum Abendessen frisch zu machen.
Eine Verlobung in großbürgerlichem Hause, das wusste Anna Lisa aus ihrem Bekanntenkreis, fand in drei Etappen statt. Zuerst wurde sie im Kreise der unmittelbar betroffenen Familien verkündet, dann in einer Zeitungsannonce veröffentlicht und schließlich mit einem Fest gefeiert, das in vielen reichen Familien nur wenig bescheidener ausfiel als die eigentliche Hochzeit. Simeon wurde Anna Lisas Brüdern vorgestellt, ein Bericht in den Gesellschaftsnachrichten informierte die neugierige Öffentlichkeit, und eine Woche nach dem ersten Besuch der beiden Holländer fand eine Abendgesellschaft im Hause Lobrecht statt. Danach würde der junge Mann wieder in seine Heimat zurückkehren, bis Ende April die kirchliche Hochzeit stattfand – nur drei Tage, bevor der Hochseedampfer Anne-Kathrin nach Batavia auslaufen sollte.
Die Anne-Kathrin, nach der früh verstorbenen Frau Lobrecht benannt, war das Schmuckstück der Lobrecht’schen Flotte und das persönliche Lieblingsschiff des Reeders. Sie war klein für einen Hochseedampfer, aber schnell und elegant, ein Schiff mit einem starken Herzen und einem schönen Körper, ganz wie es die Frau gewesen war, deren Namen es trug. Man betrachtete es allseits als gutes Vorzeichen, dass Anna Lisa ihre Hochzeitsreise an Bord dieses Schiffes verbringen würde.
In der Woche nach ihrer ersten Begegnung wohnten die Vanderheydens in einem Hotel, denn es geziemte sich nicht, dass der Bräutigam im Haus seiner Braut übernachtete. Aber die zukünftigen Eheleute hatten Gelegenheit genug, einander zu treffen. Es war jetzt auch nicht mehr notwendig, dass Carl Gustav sie begleitete. Da sie ja in Kürze verlobt werden sollten, genügte als Anstandsdame die alte Elsa, wenn sie ihre Spaziergänge in dem weitläufigen Garten machten. Die feinfühlige Elsa berief sich nach wenigen Schritten auf ihre gebrechlichen Beine und blieb auf einer Bank sitzen, während das junge Paar dahinschlenderte. Tietjens dagegen ließ sich nicht abschütteln. Sie blieb ihnen auf den Fersen.
Anna Lisa fand rasch heraus, dass Simeon launisch war und zu plötzlichen Anfällen von Melancholie neigte, wenn irgendeine beiläufige Bemerkung eine missgestimmte Saite in ihm anschlug. Das war der Fall, als sie bei einem solchen Spaziergang – in der löblichen Absicht, ihm zu schmeicheln – sagte: »Mir gefällt Ihr Name: Simeon. In Hamburg hat er einen guten Klang, denn es war ein Mann dieses Namens, der die Stadt von der Plage der Seeräuber befreite: Kapitän Simon von Utrecht, der Klaus Störtebeker und seine Spießgesellen überwältigte. Er war ein Held, dessen man heute noch mit Hochachtung gedenkt.«
Der Blumenstrauß fiel ins Leere. Simeon gab mürrisch zurück: »Wenn es Sie nach Helden gelüstet, haben Sie mit mir den falschen Mann gewählt.«
Betroffen hielt sie inne. »Ich sagte doch nur, dass mir Ihr Name gefällt.«
»Und mir gefällt er nicht. Wussten Sie nicht, dass Simon Petrus ›der Fels‹ genannt wurde? Bin ich etwa ein Mann von Stein? Bin ich ein Felsen, auf den man bauen kann? Als ich getauft wurde, hätte man besser an Simon von Kyrene gedacht, der Jesu Kreuz tragen musste.«
Anna Lisa wusste aus Erfahrung, dass es sich nicht lohnte, mit einem schlecht gelaunten Mann zu diskutieren, also gab sie dem Gespräch eine völlig andere Richtung. »Jedenfalls«, sagte sie ernsthaft, »bin ich froh, dass Sie nicht Bartimäus heißen wie Ihr Vater.« Und vertraulich zu ihm geneigt flüsterte sie: »Was für ein lächerlicher Name!«
Der Satz war wie ein frischer Wind, der die Wolken von Simeons finsterer Stimmung wegblies. Er lachte laut auf und stimmte ihr zu. »Ja, das dachte ich auch immer. Aber er ist
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