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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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vorgaukelte, Sie würden als die glückliche Gattin eines reichen Pflanzers nach Java fahren. Sie reisen vielmehr als die Gefährtin eines zum Tode Verurteilten. Und es kann überdies durchaus sein, dass Sie mein Schicksal teilen.«
    Anna Lisa war so verwirrt von seinen seltsamen Worten, dass sie ihn am liebsten stehen gelassen hätte und zu ihrem Bruder gelaufen wäre, um bei ihm Schutz zu suchen.
    Er missdeutete ihr Zögern und Schweigen. »Sie schwanken! Ja, es ist Ihre letzte Chance! Noch haben Sie Gelegenheit, sich von mir zu trennen, ehe Sie mit in den Strudel gerissen werden«, sagte er. »Und am liebsten möchte ich Ihnen sagen: Tun Sie es! Aber ich kann nicht; ich wünsche so sehr, dass Sie bei mir bleiben. Das Schicksal hat Sie mir gegeben, ich möchte nicht, dass Sie mir wieder genommen werden.«
    Den Tränen nahe, bemühte sie sich, Ruhe zu bewahren. Nicht auszudenken, wenn sie jetzt zu flennen anfing und Carl Gustav besorgt herbeigestürzt kam! Mit gepresster Stimme antwortete sie: »Mir scheint, dass Ihre familiären Beziehungen nicht die glücklichsten sind; das ist sehr bedauerlich, doch wir können es nicht ändern. Und ist es da nicht das Beste, dass wir in ein fernes Land reisen und mit Ihrem Vater und Ihrem Bruder gar nicht mehr viel zu tun haben werden? Ich denke auch, Sie machen sich zu große Sorgen wegen Ihrer Gesundheit. Es würden nicht Jahr für Jahr so viele Menschen dorthin auswandern, wäre das Klima derart tödlich, wie es Ihnen erscheint. Wir müssen eben vernünftig sein und uns an die gesünderen Gegenden halten.« Hauptsächlich, um ihn von seiner Melancholie abzulenken, fragte sie: »Haben Sie die Plantage schon einmal gesehen?«
    »Nur auf Lichtbildern und kolorierten Zeichnungen.«
    »Ist es schön dort?«
    Er gestand zögernd ein, dass die Landschaft, soweit man das einem Abbild entnehmen konnte, schön war und das Herrenhaus ebenfalls. Es hatte früher einem Javaner gehört, einem hohen Beamten am Hof des Adhipati, der es in jenem skurrilen Stil erbauen ließ, den die reichen Einheimischen liebten. Sein Dach erhob sich hinten und vorne zu beträchtlicher Höhe, schmal geformt wie der Bug eines Kahns, und es war rundum geschmückt mit holzgeschnitzten, bunt bemalten und vergoldeten Ornamenten.
    »Wie eine Amsterdamer Drehorgel sieht es aus«, sagte Simeon. »Man erwartet immer, jeden Augenblick müssten alle die Figuren anfangen, sich zu drehen, zu tanzen und die Trommel zu schlagen. Aber es steht in einem sehr schönen Garten.«
    Listig fragte sie: »Die Pflanzen und Blumen dort sind wohl ganz anders als hier?«
    Es gab in der Tat keine bessere Medizin für ihn als diese Frage. Er verwandelte sich schlagartig wie eine Pflanze, die halb vergilbt mit hängenden Blattwedeln dasteht, in Dunkel und Dürre dahinsiechend, und plötzlich Licht und Wasser erhält. Seine Haltung straffte sich, seine Augen leuchteten auf. Seine Stimme gewann Kraft und Melodie. »Oh, und wie anders!«, rief er aus. »Sie würden staunen! Ich habe Freunde und bezahlte Leute unter den Seefahrern, die mir Blüten und Blätter für meine Herbarien mitbringen; leider sind sie solche Tölpel, dass sie die Hälfte der specimen ruinieren, bevor sie in Amsterdam ankommen. Es ist nämlich nicht so einfach, eine Pflanze auf diese Weise zu konservieren, schon gar nicht auf einer langen Schiffsreise. Als Kind haben Sie wohl auch ein paar Veilchenblüten zwischen Löschpapier gelegt und gepresst, nicht wahr? Aber wenn es mehr sein soll als eine kindische Spielerei, muss man mit viel Geschick und Umsicht vorgehen …«
    Anna Lisa erkannte ihn kaum wieder. Der Gedanke an die phantastische Pflanzenwelt Ostindiens hatte ihn völlig aus seinem Trübsinn gerissen, er schien sich geradezu darauf zu freuen, das geheimnisvolle Land zu betreten. Wie so viele Menschen, die von einer Sache begeistert sind, schwatzte er ohne Punkt und Komma daher; erklärte ihr, wie man die Pflanzen mit einer Botanisiertrommel sammelte, wie man sie presste, ordnete, aufbewahrte … Sie verstand nicht das Zehnte von allem, was er sagte, vor allem, da er oft auch lateinische Wörter gebrauchte, aber sie war von Herzen froh, dass sie es geschafft hatte, ihn wieder zur Vernunft zu bringen. Erleichtert sagte sie sich, dass er wohl doch nicht verrückt war, bloß ein wenig überängstlich, was seine Gesundheit anging, und seelisch niedergedrückt von seiner unerfreulichen Familiensituation. Wenn sie nur erst weit genug weg waren von Bartimäus und

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