Die Traenen des Mangrovenbaums
sogar noch recht stolz darauf. Es ist ein guter alter holländischer Name, und er ist stolz auf alles, was gut und alt und holländisch ist.«
Seine Stimmungen wechselten ununterbrochen wie ein leichtes Schiffchen, das von heftigem Wellengang umgetrieben wird. War er gut gelaunt, so konnte er ein sehr amüsanter Unterhalter sein, wenn ihn ein Thema interessierte. Zwar galt sein Interesse an Blumen und Pflanzen hauptsächlich deren Gestalt, ihrem Aufbau, der Anlage ihrer Wurzeln, Blätter und Blüten. Er wusste jedoch auch viel darüber zu erzählen, wie Blumen und Kräuter zu ihrem Namen gekommen waren, welche Kräfte man ihnen zuschrieb und welche Arznei- oder Giftwirkung ihnen innewohnte. Anna Lisa betrachtete ihre morgendliche Schale Kaffee mit ganz neuen Augen, seit er ihr erzählt hatte, wie die Mohammedaner den Ursprung dieses Getränks deuteten: Ihrem Gott Allah hatte es missfallen, dass die Gläubigen bei ihren langen nächtlichen Gebeten so oft einschliefen, und da sie sich den Geboten ihres Glaubens folgend nicht mit Wein erfrischen durften, hatte er den Kaffeebaum aus der Erde erweckt und ihnen mit seinen Früchten ein erlaubtes stimulierendes Getränk geschenkt. Daher hieß der Kaffee in ihrer Sprache auch qahwa , »anregendes Getränk«, gleichbedeutend mit »Wein«, und man nannte das qahwa , woraus dann bei den Türken kahve geworden war, auch den »Wein der Araber«.
»Es gibt eine hübsche Legende dazu«, sagte er. »Es wird erzählt, dass sich ein Hirte, der in der Nähe des Klosters Schehodet im Jemen seine Ziegen weidete, über die Tiere wunderte: Diese sprangen nämlich die ganze Nacht wie toll herum und brachten ihn um den Schlaf. Gemeinsam mit den Mönchen fand er die Ursache: Die Ziegen hatten von den Samen des Kaffeestrauches gefressen. Neugierig versuchten die Mönche, ob die Beeren bei ihnen dieselbe Wirkung hatten – und sieh an, nach dem Genuss einiger Kaffeebohnen war es ihnen möglich, die ganze Nacht hindurch zu beten, ohne einzuschlafen.«
Es sprach sich schnell herum, dass man eine Pflanze entdeckt hatte, deren Samen munter und gut gelaunt machten. Das wild wachsende Gottesgeschenk wurde schon bald kultiviert: Bereits im 11. Jahrhundert pflanzten die Araber auf künstlich bewässerten Küstenhängen des Roten Meeres erstmals Kaffeesträucher an.
»Geschmeckt hätte Ihnen aber dieser urtümliche Kaffee ganz sicher nicht«, sagte Simeon. »Anfangs wurden nämlich die rohen Kaffeebohnen gekaut, wie man heute noch in Java die Betelfrüchte kaut, die eine ähnliche Wirkung entfalten.«
Sie verstand nicht, was er meinte, also erklärte er ihr: Wie man in Europa und Amerika Tabak kaute, so kaute man auf Java einen Betelpriem, einen Bissen aus den roten Früchten des Betelstrauches, der zusammen mit einem kleinen Stück Kalk für die bessere Wirksamkeit in ein Blatt gewickelt wurde. Die Früchte enthielten eine Substanz, die heiter und zufrieden machte, sodass das Betelkauen sehr beliebt war, obwohl es, wie andere Drogen auch, langfristig böse Folgen zeigte – durch den ätzenden Kalk entstanden nämlich Geschwüre im Mund.
Anfangs war es auch beim Kaffee so gewesen, dass man die Bohnen zerbiss. Erst später wurde der Saft daraus gepresst, vergoren und mit Wasser verdünnt getrunken, und es dauerte wiederum eine ganze Weile, bis man die Entdeckung machte, dass die zerstoßenen Bohnen viel ergiebiger zubereitet werden konnten und ein weit besseres Aroma hervorbrachten. Erst ganz zuletzt wurde dann der geröstete Kaffee entdeckt: Wahrscheinlich durch Zufall kam man im Jemen darauf, Kaffeebohnen auf Steinplatten zu rösten und danach erst zu kochen.
Es gäbe eine Sage, erzählte Simeon Anna Lisa, dass der Kaffee in Europa bekannt geworden sei, als man nach der Belagerung Wiens durch den Großwesir Kara Mustafa Pascha im Jahre 1683 in den Zelten der vertriebenen Türken Säcke mit Kaffeebohnen fand. Ein polnischer Weltreisender, Abenteurer und Spion namens Kolschitzky hätte sich diese Bohnen als Lohn für seine Kriegsdienste ausbedungen und bald darauf in Wien das erste Kaffeehaus eröffnet. Das sei aber vermutlich nur eine Sage. Kaufleute und Pilger, die ins Morgenland reisten, hätten den Kaffee sicher schon viel früher kennengelernt. Nur wurde er – anders als Kartoffeln und Tabak, die ebenso aus fernen Ländern nach Europa übersiedelten – hier nicht heimisch, da die empfindliche Pflanze ein warmes Klima brauchte.
Anna Lisa lauschte und fand das alles recht interessant.
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