Die Traenen des Mangrovenbaums
Öffentlichkeit das zukünftige Paar in Augenschein nehmen konnte, dann gab es im Theatersaal des Lobrecht’schen Hauses ein Mittagessen für die Familien und die wichtigsten Honoratioren. Entlang der Saalwände war auf weiß gedeckten Tischen ein kunstvolles Büfett aufgebaut, eine abwechslungsreiche Landschaft aus Delikatessen, die in Kränzen von frischem Asparagus, Orangen und Zitronen zu bunten Ornamenten angeordnet auf den silbernen Platten lagen. Es begann mit den heißen Würzbissen wie Käsegebäck, Blätterteiggebäck, Schinkenhörnchen und Pastetchen in weißen Papierkrausen und endete am anderen Ende der Tafel mit den Süßspeisen: Eispunsch und Sorbet, Cremeschnitten, Apfelstrudel, Quarktorte, schneeweiße, braune und punschrosa Cremes mit Sahnehäubchen. Nachdem sich alle erst einmal gründlich vollgestopft hatten, folgte eine bescheidene Zeremonie. Die Väter hielten kurze Ansprachen, Anna Lisa lächelte, errötete und sah so entzückend aus wie nie zuvor in ihrem eigens für diesen Anlass gefertigten Kleid – einem Wasserfall schneeweißer Spitzen, deren Kaskaden von kobaltblauen Bändern und Schleifen aus glänzendem Satin im Zaum gehalten wurden. Das junge Paar erhielt kräftigen Applaus, als hätten sie allein schon durch ihre Bereitschaft, einander zu heiraten, etwas Besonderes geleistet.
Simeon reichte ihr eine zierliche, mit Perlmutt-Intarsien eingelegte Dose. Als Anna Lisa sie öffnete, fand sie darin ihren Verlobungsring, ein glattes Silberband mit einem herzförmigen Mondstein. Auf der Innenseite waren Worte eingraviert, die sie jedoch nicht lesen konnte.
»Es ist Holländisch«, erklärte Simeon. »Der Ring gehörte meiner Großmutter, die sehr glücklich verheiratet war, deshalb möchte ich ihn an Sie weitergeben.«
Bartimäus fühlte den scharfen Seitenhieb: Die Ehe von Simeons Mutter war nicht glücklich gewesen. Aber er beherrschte sich und schwieg.
»Die eingravierten Worte«, fuhr der junge Mann fort, »lauten: Als je geeft zul je ontvangen. Zu Deutsch: Wie du gibst, so wirst du empfangen. Ich finde, das ist ein sehr gutes Motto für eine Ehe.«
Anna Lisa steckte den matt leuchtenden Ring an den Mittelfinger und wunderte sich, wie gut er ihr passte. Er saß an ihrer zierlichen Hand, als sei er für sie gemacht worden.
Dann ging das Fest weiter mit Essen, Geplauder, Trinksprüchen, Musik und noch mehr Essen. Später am Nachmittag wurde getanzt. Auf der Bühne, die von schweren, rotsamtenen Vorhängen umrahmt wurde, spielte ein Orchester. Die Musik erfüllte den Saal mit ihren süßen, schwebenden Kadenzen, als wäre sie etwas Körperliches, ein lauer Wind, der durch das Gewölbe strich und in den Palmwedeln raschelte.
Auch das zukünftige Paar tanzte. Zu ihrem Leidwesen stellte Anna Lisa fest, dass Simeon beim Tanzen so ungeschickt war wie beim Kaffeehandel. Nachdem er ihr ein paar Mal schmerzhaft auf die Zehen gestiegen war, entschuldigte sie sich und entzog sich weiteren Tänzen, indem sie sich mit Trüffelscheiben und Schnepfenwürfeln gefüllte Torteletts auf den Teller lud und sich mit diesen Leckerbissen in einen Winkel zurückzog. Tietjens – die niemand eingeladen hatte, die aber auch niemand wegzuscheuchen wagte – folgte ihr und legte eine ihrer Tigerpranken auffordernd auf ihr Knie. Anna Lisa reichte ihr hastig eine Pastete, ehe sie sich am Ende mit der zweiten Pranke auch noch hochstemmte. Die Pastete verschwand in dem Maul mit den faltig herabhängenden Lefzen, ohne dass auch nur ein Schlucken sichtbar wurde. Da Tietjens keine Anstalten machte, sich zu entfernen, angelte das Mädchen verstohlen nach einem Savarin – einem ringförmigen, glasierten Hefekuchen, der mit Sahne und frischen Früchten gefüllt war – und schob ihn nach. Die Hündin leckte erst ausgiebig ihre eigene, zuckersüß verschmierte Schnauze, dann mit flüchtigem Dank die Hand der Gastgeberin und entfernte sich in ihrer so erstaunlich lautlosen Art.
Anna Lisa schloss die Augen. Ihr war ein wenig schwindlig, denn auf ihr Betreiben hatte die Köchin eine Waldmeisterbowle auf den Tisch gebracht, und in ihrer Nervosität hatte sie zu viel davon getrunken. Jetzt spürte sie, wie das Krummerin – oder wie immer das Gift in dem lieblich grünen Getränk hieß – seine boshafte Wirkung in ihr entfaltete.
Simeon kam etwas schuldbewusst herbei. »Ich bin kein guter Tänzer, fürchte ich«, gestand er. »Aber wenn Sie gerne tanzen, es sind so viele Herren da …« Erklärend fügte er
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