Die Traenen des Mangrovenbaums
Um ihren zukünftigen Gatten bei Laune zu halten, bemühte sie sich, intelligentes Interesse an seinem Fachgebiet zu zeigen. »Warum haben nur die Kaffeebohnen diese Wirkung, dass sie einen munter machen, und die anderen Bohnen nicht?«
Simeon lächelte über ihre Unwissenheit, freute sich aber, dass sie sich um Anteilnahme bemühte. »Weil Kaffeebohnen gar keine Bohnen sind. Eigentlich heißen sie auch Kaffeekirschen – aber mit den roten Kirschen, die auf Bäumen wachsen, haben sie genauso wenig zu tun wie mit den grünen Bohnen. Sie gehören in eine eigene Pflanzenklasse, zu den Rubiaceen, wie Labkraut und Waldmeister.«
»Waldmeister!« Den kannte sie. Im Frühling erfrischte man sich oft mit prickelnder Waldmeisterbowle oder einem Bier mit »grünem Schuss«, zu den beliebtesten Leckereien zählten Waldmeisterlikör, -torte, -sirup und -gelee. Erfreut zählte sie ihrem Zukünftigen auf, was sie alles über den heimischen Verwandten des exotischen Kaffees wusste. Jetzt guckte er! Über Pflanzen wusste er ja eine Menge, aber was eine deutsche Köchin daraus für Leckerbissen zubereiten konnte, das war ihm neu!
Simeon lächelte ein wenig süffisant. »Köstlich, gewiss! Aber Kaffee und Waldmeister haben noch etwas gemeinsam: Beide sind giftig. Waldmeister enthält das Gift Kumarin, Kaffee das Gift Koffein.«
»Gift! Aber man trinkt ihn doch überall und jeden Tag! Wie kann da etwas Schädliches daran sein?«
»Dennoch werden Sie schon bemerkt haben, dass Sie sich nicht wohlfühlen, wenn Sie zu viel Kaffee trinken. Sie bekommen Magenschmerzen, Sodbrennen, Kopfschmerzen und Herzklopfen davon und können nicht einschlafen. Das ist die Wirkung des Giftes darin. Aber wie schon Paracelsus sagte: Die Dosis macht das Gift. Was in großen Mengen schadet, kann in kleinen Mengen wohltun oder sogar heilen. Deshalb wurde Kaffee sehr früh auch schon als Heilkraut gegen Müdigkeit, Trübsinn und Verstopfung verwendet.«
Anna Lisa blickte verlegen beiseite. Das stimmte – nach der ersten Tasse Kaffee am Morgen hatte sie es gleich immer eilig.
Simeon schwieg kurz, dann setzte er mit unterdrücktem Grinsen hinzu: »Es gibt übrigens auch noch eine andere Legende, wie der Kaffee auf die Erde kam.«
»O ja?«
»Nach dieser anderen Erzählung soll der Erzengel Gabriel dem Propheten Mohammed den Kaffee gebracht haben, damit dieser beim Beten nicht einschlafen sollte. Schon nach einigen Schlucken wurde der eben noch schläfrige Prophet sogleich so frisch und munter, dass er auf der Stelle vierzig Krieger besiegte und in einer Nacht vierzig Jungfrauen in die Liebe einweihte.« Er kicherte wie ein Schuljunge. Als er jedoch merkte, dass Anna Lisa nicht verstand, errötete er und entschuldigte sich. »Verzeihung, ich hätte Ihnen das nicht erzählen sollen.«
»Aber nein, warum denn nicht? Das mit den vierzig Reitern habe ich verstanden, nur das mit den Jungfrauen nicht. Meinen Sie denn, dass er auch mit den Mädchen kämpfte? Wie seltsam!«
»Nein, so war es nicht gemeint.« Simeon wand sich vor Verlegenheit, aber jetzt ließ sie nicht mehr locker.
»Sie müssen es mir erklären! Sie haben gelacht, und ich will auch lachen.«
Er wünschte, er hätte es bleiben lassen, ihr die leicht anrüchige Legende zu erzählen, aber jetzt war es zu spät. Wie sollte er ihr die Pointe klarmachen, ohne vor Verlegenheit im Boden zu versinken? Er wusste zwar Bescheid, aber er wusste nicht, wie er diese Kenntnisse einem jungfräulichen Mädchen vermitteln sollte. Sein Vater hatte ihn auf eine ziemlich rüde Art in die Geheimnisse der ehelichen Liebe eingeweiht, indem er ihn auf einen Hengst hinwies, der eben eine Stute bestieg, und ihm erklärte: »So machst du es einmal auch mit deiner Frau, aber nicht von hinten, das ist eine Sünde. Du musst ihr ins Gesicht sehen dabei.«
Simeon hatte eine Weile gebraucht, bis diese Erklärung für ihn einen Sinn ergab, aber schließlich war ihm ein Licht aufgegangen.
Jetzt fand er einen listigen Ausweg. Mit gespielter Zerknirschung sagte er: »Ich habe Ihnen etwas Unanständiges erzählt, das hätte ich nicht tun dürfen. Aber wenn wir verheiratet sind, dann erkläre ich Ihnen alles. Und noch mehr: Ich zeige es Ihnen.«
Bartimäus Vanderheyden hatte viel Wert darauf gelegt und viel Geld eingesetzt, damit die Verlobungsfeier seines Sohnes zum Tagesgespräch in der Hamburger Gesellschaft wurde. Sie fand an einem Sonntag statt. Man begab sich am Vormittag gemeinsam in die Kirche, damit die
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