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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne de Witt
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eindringlich davor, sich an diesem Ort anzusiedeln. Die Plantage Buitenhus liegt zwar auf einer Hochebene und in besserer Luft, aber das Tropenklima ist mörderisch, glühend heiß in der Trockenzeit, ständig nass in der Regenzeit und am schlimmsten in der Zeit dazwischen, die man die Wechselzeit nennt. Es wäre wirklich kein Wunder, wenn Sie schon in einem halben Jahr wieder Witwe wären.«
    Anna Lisa war so verwirrt und entsetzt, dass es ihr die Sprache verschlug. Das konnte er doch nicht ernst meinen? Welcher Vater würde denn seinen Sohn in die Tropen schicken, damit er dort starb? Und so gefährlich, wie er behauptete, konnte Java auch gar nicht sein; Tausende Europäer lebten seit Generationen dort, Engländer, Deutsche und Holländer. Es waren ja nicht mehr nur einige wenige Abenteurer, die den großen Schritt wagten. Alle Welt schien in die Ferne zu strömen, alle in der Hoffnung, dort ein besseres Leben zu erlangen. Ja, das Klima war unangenehm, das hatte sie auch schon gehört, im Sommer brannte einem die Sonne durch den Hut, in der Regenzeit steckte alles im Schlamm. Dafür tobten dort keine Schneestürme wie in den klirrend kalten deutschen Wintern, und man konnte wochenlang die strahlende Sonne genießen, nicht nur ein paar blassgelbe Tage, die wie welke Blumen verstreut den grauen Sommer schmückten. Jedes Land hatte eben seine Vorzüge und Nachteile. Eine Reise nach Java war kein Todesurteil. Viele Deutsche wanderten freiwillig dorthin aus. War der schöne junge Mann am Ende wirklich nicht ganz bei Sinnen, wie Dörte behauptet hatte? Aber welche Verzweiflung musste er empfinden bei dem Gedanken, dass am Ende einer langen Reise der Tod auf ihn wartete, ob seine Sorgen nun gerechtfertigt waren oder das Komplott nur in seiner Phantasie existierte!
    Sie konnte ihm nicht sagen, er solle sich doch nichts einbilden; das wäre unhöflich gewesen. In ihrer Hilflosigkeit fiel ihr nichts weiter ein, als nach seiner schlaff herabhängenden Hand zu greifen und ihre Finger mit seinen zu verschlingen. Es fühlte sich gut an. Seine Hand war glatt und trocken, freilich auch sehr kühl, wie es die Hände alter Menschen oft sind.
    Alarmiert spannte Tietjens die mächtigen Muskeln an, als ihr Herr berührt wurde. Sie grollte leise, aber sehr eindrucksvoll. Anna Lisa hatte die Regung des Hundes sehr wohl bemerkt und war erschrocken, sie atmete erst wieder tief durch, als Simeon den Druck ihrer Finger zärtlich erwiderte und gleichzeitig die freie Hand auf den Kopf des Tieres legte. Tietjens erinnerte sich, dass ihr Herr das Mädchen zu ihren gemeinsamen Freunden zählte, und sie entspannte sich wieder.
    Er lächelte Anna Lisa traurig an. »Sie glauben mir nicht«, sagte er mit sanftem Vorwurf. »Sie können sich eine solche Verschwörung nicht vorstellen. Nun, Sie kennen noch nicht alle Tatsachen. Es geht nicht nur um die persönlichen Gefühle meines Vaters mir gegenüber. Er hat einen zweiten Sohn, den er liebt und in dem er alles findet, was ihn glücklich macht – Interesse und Verstand für seinen Kramladen. Denn was ist es anderes als ein Kramladen, wenn auch ein riesiger mit Hunderten von Angestellten?« Bittere Ironie klang in seiner Stimme mit. Anna Lisa wurde bewusst, dass er seinen Vater nicht weniger verachtete als der ihn.
    »Ich wusste nicht, dass Sie einen Bruder haben.«
    »Godfrid ist ein unehelicher Sohn meines Vaters. Als meine Braut können Sie das ruhig wissen; ich bitte Sie nur, das Gesagte bei sich zu behalten – als Geheimnis der Familie, der Sie bald angehören werden. Ist das nicht grotesk? Ich selber wünschte oft, wir könnten die Rollen tauschen, dann wären mein Vater und mein Bruder glücklich mit ihrer Kaffeekrämerei, und ich könnte mich der Botanik widmen, ohne ständig aus der Arbeit gerissen und an die Börse gejagt zu werden. Aber es ist nun einmal so, wie es ist.«
    Vorsichtig, um nach keiner Seite hin einen falschen Tritt zu tun, stimmte Anna Lisa zu: »Das muss eine schlimme Situation für Sie alle sein.«
    Er nickte. »Ja, gewiss. Sie können sich vorstellen, dass ich außer meinem Vater auch meinem Bruder sehr unwillkommen bin. Das Naturrecht ist auf meiner Seite, aber ihm scheint es, genau wie meinem Vater, dass ein höheres Recht ihn zum legitimen Sohn macht – das Gesetz der Kompatibilität. Sie sind so einig in allem, was sie tun, und ich bin ein Außenseiter. Aber ich will nicht im Einzelnen davon reden. Sie sollen nur wissen, dass man Sie getäuscht hat, als man Ihnen

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