Die Tränen meines Vaters
gesäubert und mir die Augentropfen eingeträufelt habe und meine Pillen nehmen will,
habe ich es gern, wenn das Wasserglas schon voll ist
.
Die rationale Erklärung könnte sein, dass es unbequem ist, in der linken Hand die Pillen zu halten und mit der rechten den Wasserhahn aufzudrehen und gleichzeitig zu versuchen, das Glas darunterzuhalten. Aber es ist mehr als eine Sache der Bequemlichkeit. Es ist ein kleines, ganz eigenes Vergnügen, in einem Leben, in dem die spektakuläreren Freuden eingeebnet sind, auf der weißen Marmorplatte des Waschtischsdas volle Glas auf mich warten zu sehen, bevor ich die Anticholesterinpille, die entzündungshemmende Pille und die Schlafpille durch meine Gurgel gleiten lasse und das Calciumpräparat (die Idee meiner Frau, jetzt, da ich im Bett Fußkrämpfe bekomme, vom Druck der Bettdecke, wie ich glaube) und dann die Xalatantropfen, die mich vor einem Glaukom schützen sollen, und die Systantropfen gegen trockene Augen. Mitten in der Nacht, auf dem Weg zum Bad, habe ich das Gefühl, ich hätte einen Balken im Auge, keinen Splitter, sondern buchstäblich einen
Balken
– ich habe dieses Bild aus der Bibel vorher nie ernst genommen.
Die Frau setzt mir zu, ich müsse mehr Wasser trinken. Acht Gläser am Tag, das ist die Menge, die ihr Arzt ihr empfohlen hat als einen dieser weiblichen Schönheitstricks. Ich muss würgen, wenn ich nur daran denke – acht Gläser, das sind annähernd zwei Liter, sie würden mir zu den Ohren herausblubbern –, aber dieser gesunde milde Schluck am Ende des Tages ist mir wichtig geworden,
ein kleines Stück, das genau passt
: die Pillen in den Mund geworfen, das volle Glas an die Lippen gehoben, der kräftige Zug, der die Pillen hinunterspült, alles in kürzerer Zeit, als ich brauche, um es zu schildern, aber ein Segen.
Der Segen, glaube ich, geht zurück auf Augenblicke in meiner Kindheit, da mein Durst gelöscht wurde; in einigen Staaten weiter südlich von diesem gab es in allen Verwaltungsgebäuden und Kaufhäusern öffentliche Trinkbrunnen, und in den Luncheonettes wurden Gläser mit Eiswasser auf den Tisch gestellt, ohne dass man darum bitten musste, und Drugstores boten Alka-Seltzer am Mineralwasserausschank an, als Heilmittel für jegliches Unwohlsein, sei es ein Kateroder Nesselausschlag. Ich lebte bei meinen Großeltern, ein Kind unter einem Dach mit alten Leuten aufgrund der Umwälzungen durch die Wirtschaftskrise; das Haus hatte einen Linoleumboden und tiefe Spülsteine aus Schiefer in der Küche und über den Spülsteinen langhalsige Kupferhähne, vom Grün der Oxidation gefärbt. Ein Kind kam damals meist von irgendwoher gerannt und hatte einen großen unschuldigen Durst – es war gerannt oder rasend schnell auf einem Rad mit Ballonreifen gefahren und hatte sich vorgestellt, dass es ein Sturzkampfbomber sei, der gleich ein japanisches Schlachtschiff versenken würde. Ein Glas mit Wasser aus dem alten Hahn zu füllen verband einen mit der übrigen Welt. Man muss es sich vorstellen: Rohre laufen durch die Erde, unterhalb der Frostgrenze, und dann ungesehen vom Keller hinauf mitten durch die Wände, um einem dieses durchsichtige Fließen zu bringen, das man mit rhythmischen Schlucken hinuntergoss – wie mein Großvater mit diesem Zwinkern hinter seinen Zweistärkengläsern sagte, «die kleine rote Straße hinunter». Auf dem Kupfer sammelten sich Kondensationsperlen, während man darauf wartete, dass das Wasser kalt genug herauslief.
Die Autowerkstatt eine Straßenecke vom hinteren Garten meiner Großeltern entfernt hatte das kälteste Wasser in der Stadt, es kam aus einem Trinkwasserbrunnen gleich innerhalb der an der Decke entlangführenden Schiebetore. Die vorderen Zähne taten einem weh, so kalt war es. Unser Zahnarzt, ein großer schlanker Tennisspieler, der schon mit Mitte dreißig eine Glatze bekam, sagte einmal, nachdem er mir einen vereiterten Backenzahn gezogen hatte, als ich fünfzehn war, ganz gleich, was mir dental gesehen noch alles passieren werde, meine vorderen Zähne würden mir bleibenbis zum Tag, an dem ich stürbe. Also, wie konnte er das wissen, wo er doch alle sechs Monate in einen Mund sah, in dem eine Pennsylvania-Diät aus überzuckerten Doughnuts und Lakritzstangen bereits Verwüstungen angerichtet hatte?
Aber er hatte recht.
Sie stehen zwar ein bisschen schief, aber sie sind alle noch da, wohingegen die anderen, weiter hinten, längst neuenglischer Wurzelkanalbehandlung und schwedischer Implantologie
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