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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Magentaton hinausschmetterte. Die Parkfläche war bedeckt mit größeren, weißen Steinen im Gegensatz zu den braunen Halbzollkieseln, von denen Camilla sich nicht hatte abbringen lassen, obwohl sie (worauf Evan in aller Deutlichkeit hingewiesen hatte) die Neigung hatten, im Winter, beim Schneepflügen, sich auf dem Rasen zu verstreuen. Aber das eigentliche Haus, ein holzverkleideter Neokolonialbau, relativ groß, zwanzig Jahre alt, rund ums Erdgeschoss aus Backstein, sah ziemlich genauso aus wie seines. Lynne hatte die Vordertür nicht abgeschlossen, war in ihrer Panik einfach hinausgegangen. Hinter ihr hertrottend, bemerkte Evan überrascht, wie geschmeidig und flink sie die Stufen zur gefliesten Veranda hinaufging und ihm die Windschutztür aufhielt, während sie die andere öffnete.
    Das Piepen drinnen im Haus war deutlich und beharrlich, aber nicht das dringliche, immer lauter werdendeSchrillen eines Ernstfalls. Er ging zuerst in die falsche Richtung; der Grundriss des Hauses war anders als bei ihm, das Wohnzimmer war links statt rechts, und die Küche lag dahinter, nicht daneben. Die Einrichtung aber sah fast genauso aus wie bei ihm – der moderne Geschmack von vor zwanzig Jahren, kastenförmig und dick gepolstert, nacktes Holz und einfarbige Wollstoffe, Sofatische aus dickem Glas auf gekreuzten Beinen aus rostfreiem Stahl, bunt gemischt mit Orientteppichen und Familienantiquitäten. Das Ganze sah ein wenig schicker aus und nicht so müde wie bei ihm zu Haus; aber Evan neigte dazu, das, was andere hatten, zu glorifizieren.
    «Da drüben», sagte Lynne, «neben dem Wandschrank» – dem Wandschrank in der Eingangsdiele, in den sie gerade ihren Regenmantel aus weißem Vinyl hängte. Das anliegende graue Strickkleid, das sie unter dem Mantel trug, wirkte auf ihn, als sei sie diesen Mittag bei einem Damenlunch gewesen. Die Zehen benutzend, befreite sie sich von den klobigen Sneakers, ohne sich die Mühe zu machen, sie aufzuschnüren – vielleicht wollte sie sich nicht vornüberbeugen und das Hinterteil in die Luft recken, vor seinen Augen –, und kickte sie auf den Boden des Schranks.
    «Ja», sagte er und ging auf Strümpfen zur Schalttafel. «Sie ist genau wie meine.» Er hob die Hand, sie zu berühren, besann sich dann aber und fragte: «Darf ich?»
    «Nur zu», sagte sie. In ihrem eigenen Haus war ihr Ton fast salopp, kein Zittern mehr. «Tun Sie sich keinen Zwang an.»
    Er drückte auf den kleinen rechteckigen Knopf mit der Aufschrift «Reset». Der Piepton verstummte abrupt. Sie trat dicht hinter ihn und sagte staunend: «Das ist alles?»
    «Anscheinend», sagte er. «Die Anlage weiß jetzt, dass die Stromunterbrechung nicht auf einem Eindringen von außerhalb beruhte. Nicht, dass ich von Technik viel Ahnung hätte.»
    Sie kicherte vergnügt, warum, war nicht klar. Dann begriff er: bei dem, was er im Auto gerochen hatte, war Alkohol im Spiel gewesen, gemischt mit einem Lakritzgeruch von früher. «Willy ist ein solcher Wichser», sagte sie zu Evan. «Er weiß das alles, sagt mir aber nie was. Sagen Sie mir eins, als Mann. Glauben Sie, dass er
wirklich
so viel Zeit in Chicago verbringen muss?»
    Vorsichtig bot er ihr eine Erwiderung an: «Geschäfte können einen sehr beanspruchen. Ab einem gewissen Niveau müssen Männer – und Frauen, die im Geschäft sind, natürlich auch – einander in die Augen sehen. Ich saß früher selbst die ganze Zeit in Flugzeugen und hatte Meetings, aber dann fand ich, dass es effizienter wäre, zu Hause zu arbeiten. Bei all den elektronischen Kommunikationsmitteln ist es im Grunde nicht mehr nötig, so viel außer Haus zu sein. Aber andererseits, ich weiß nichts von Will – von Mr. Willards Geschäften.» Seine Worte, nervös übertrieben, schienen ein Echo in dem unvertrauten Haus zu haben – oder, richtiger, wurden aufgesogen von seiner partiellen Fremdheit, die Laute fielen in die vielen kleinen Unterschiede zwischen diesem Haus und seinem eigenen. Der Regen hatte, wie von Evan vorausgesehen, wieder eingesetzt, er wisperte und trommelte draußen und schuf drinnen einen tiefer verschatteten Nachmittag. Der Wind peitschte Salven nasser kleiner Kugeln quer über die Fensterscheiben.
    «Ich auch nicht. Kann ich Ihnen einen Drink anbieten?», fragte die Frau und war selber nervös. Sie kicherte wieder und fügte hinzu: «Weil Sie sich rausgewagt haben.» Siemachte eine Handbewegung zu ihrer stillgelegten Küche hin. «Kaffee kann ich Ihnen nicht anbieten.»
    «Was

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