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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Eltern murmeln und seufzen hören und wie sie sich umdrehten auf den quietschenden Sprungfedern. Manchmal gab es ein klapsendes Geräusch und dann die Stimme seines Vaters, die
«Ooh-hooh»
machte, in Würdigung des fülligen Körpers seiner Mutter, nahm Benjamin im Dunkel an. «Deine Mutter hätte zum Tingeltangel-Theater gehen sollen, statt mich zu heiraten», sagte er zu seinem Sohn, als sie zusammen in die Stadt fuhren. «Sie hatte die Figur dafür, aber nicht das Naturell. Ein besserer Mann als ich hätte sie dazu überredet.»
    Unter der Decke der Freizügigkeit ihres ländlichen intimen Miteinanders begann Benjamin zu masturbieren. Es passierte eines Abends, als er wegen der primitiven Waschküche im Keller keinen sauberen Pyjama hatte und in seiner Unterwäsche ins Bett gehen musste. Das ungewohnte Gefühl seiner Haut auf den Laken regte ihn zu einer Entdeckung an. Eine magische Welt der Empfindung, fest und frisch, öffnete sich; auf dem Höhepunkt hatte er ein Gefühl, als überschlage er sich; der Zeuge in ihm stand Kopf. Die Empfindung, wäre sie ein Geräusch gewesen, war schrill, drang durch diese Welt in eine andere, keine schmutzige Welt, eine reine. Er war zu unschuldig, um an die Flecken zu denken, die er auf den Laken hinterließ, und einmal, in einem Wutanfall, erwähnte seine Mutter sie, aber die Kluft zwischen ihrer Person und diesen kopfstehenden Empfindungenwar so groß, dass er sie nicht überbrücken konnte und er im Kopf ganz leer wurde und seiner Mutter keine Antwort gab. Es gelang ihm im späteren Leben, allein oder im Körper einer Frau, nie mehr, diese anfängliche, das Unterste zuoberst kehrende Intensität wiederzuerlangen – dies Gefühl einer immer süßeren, immer engeren Straffheit, die einen Blick auf eisiges, vernichtendes Licht unter seinen Füßen gewährte.

    Benjamin bezweifelte nie, dass seine Mutter ihn mehr liebte als ihren Mann. Weil er dies immer wusste, begegnete er seinem Vater mit der toleranten Gutgelauntheit, mit der man einen aus dem Feld geschlagenen Rivalen behandelt. Als sein Vater gestorben und Benjamin mittleren Alters war, neigte er dazu, seiner Mutter das Wort abzuschneiden oder ihr den Rücken zu kehren, wenn sie einen ihrer Ausbrüche ehelichen Grolls nicht zurückhalten wollte. Selbst die Fülle an Kondolenzkarten – Earl Foster war Verwaltungsbeamter gewesen, Sonntagsschullehrer, ein Mann guten Willens und guter Taten – hatte ihr Ressentiment entflammt: am Ende reich zu werden verschärft die Ungerechtigkeit, all die Jahre zuvor geprellt worden zu sein. Die getönten Umschläge, viele ungeöffnet, stapelten sich auf einem alten Messingtablett auf einem Beistelltisch, und sie machte an den Tagen nach der Beerdigung keine Anstalten, sie zu beantworten: «Was kann ich schon sagen, außer zuzustimmen, dass er ein Heiliger war? Wenn er ein solcher Heiliger war, was bin ich dann?»
    «Eine Mitheilige?», schlug Benjamin vor; er war auf der Hut, denn vor langer Zeit schon hatte er zu erkennen gelernt, was es bedeutete, wenn seine Mutter in gefährlicher Stimmung war.
    «So siehst du aus! Hast du je den Ausdruck gehört: ‹Engel auf der Straße, Teufel im Haus›? Das war dein Daddy.»
    «Was hat er denn so Teuflisches getan?»
    «Das willst du nicht wissen. Oder doch? Vielleicht solltest du’s wissen.»
    «Nein, du hast recht, Mutter, ich will’s nicht wissen.»
    Störrisch am Küchentisch sitzend in ihrem schwarzen Witwenkleid mit der grünen Jadebrosche, sagte sie: «Als wir uns kennenlernten, auf dem College, hatte mein Vater noch sein Geld und kaufte mir teure Kleider nach der neuesten Mode, die in den Augen deines Vaters aber zu großkariert waren, mit einer zu pompösen Schleife am Kragen. Er stammte aus New Jersey, und seine Familie war schrecklich konservativ, das weißt du ja – Presbyterianer bis in die Knochen.»
    «Ich weiß.» Dabei war sein Vater, so lange er ihn kannte, ein lutherischer Diakon gewesen; er hatte sein Bestes getan, sich in das Umfeld seiner Frau einzufügen.
    «Darum hat er auch immer über mich gelacht; er sagte, ich sähe wie ein Ziegfeld-Girl beim Barn Dance aus. Und dann», fuhr sie fort, «das Wochenende, an dem wir heirateten, der letzte Tag im August, es war furchtbar heiß, Dad hatte finanziell ein paarmal zurückstecken müssen, und aus irgendeinem Grund war das Beste, was ich zum Anziehen finden konnte, dies Wollkostüm, in dem ich, wie sich dann herausstellte, fast
erstickt
wäre – um ein Haar wär ich

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