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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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erteilen oder die da oben um eine kleine Pause bitten, hatte er die Langlebigkeit geerbt und von Granny eine ländliche Zähigkeit, eine sehnige Widerstandskraft, die nur langsam unter dem Druck des Alters und der Krankheit nachgegeben hatte. Der distanzierte Realismus seines Vaters war auch ihm eigen und ebenso das hitzige, unzufriedene Temperament seiner Mutter. Seine Hüter waren in ihm und trieben ihn an, eine winzige menschliche Besatzung in einer großen wandelnden DN S-Konstruktion . Sie würden ihn nicht in die Irre führen; sein Tod würde sich taktvoll nähern und war noch fern.

Das Lachen der Götter
    Benjamin Foster – ein unglücklicher Name, der in den Ohren dessen, der ihn trug, einen förmlichen, abweisenden Klang hatte, als ob er ein foster child, ein Pflegekind, wäre – fand, als sein Vater gestorben war, ein Interesse daran, wie seine Eltern sich kennengelernt, sich verliebt und ihn in tiefstem Dunkel gezeugt hatten. Seine Mutter sagte: «Wir haben uns an unserm allerersten Tag im College in der Schlange vor dem Immatrikulationsbüro kennengelernt, und wir hatten uns kaum angesehn, da fingen wir an zu lachen. Und wir haben die ganzen vier Jahre nicht aufgehört damit.»
    «Hast du dich nie mit anderen getroffen?»
    «‹Sich mit jemandem treffen› bedeutet, glaube ich, heute mehr als in den Zwanzigern, aber nein, eigentlich nicht. Niemand wollte etwas mit uns zu tun haben. So empfanden wir’s. Das war unsere Angst. Wir wurden zusammengehalten durch Angst, dein Vater und ich, durch die Angst, dass keiner sonst uns wollte. Wir waren Freaks, Benjy.»
    Sie sah auf, lächelte nicht, hatte aber etwas Spitzbübisches. Das Alter hatte ihre Zunge noch unbekümmerter gemacht, als sie schon gewesen war – wie wenn sie das Echo ausprobierenwolle, das die Wände des Hauses zurückwarfen, in dem sie allein lebte, mit einem tauben, lahmen alten Collie.
    Ihr Sohn, ihr einziges Kind, hatte sich vergewissern wollen, dass seine Eltern auf dem College keine Freaks gewesen waren, indem er in ihr Jahrbuch schaute, das den Titel
Der Amethyst
trug und in gepolstertes Lila gebunden war – im Jahr 1925, das College klein und lutherisch, am Pennsylvania-Ufer des Delaware. Es trug den Namen Agricola, nach Johann Agricola, der ein früher Verbündeter Luthers gewesen war und, während der hitzigen Auseinandersetzungen um den Antinomismus, eine Weile auch sein Gegner.
    Die Fotos und witzigen Lobreden aus dem letzten Schuljahr waren nicht in alphabetischer Reihenfolge angeordnet, sondern wie bei einer Tanzveranstaltung, jeweils ein Junge und ein Mädchen, auf gegenüberliegenden Seiten. Seine Eltern waren zu so einem Paar arrangiert und ebenso ihre treuen Freunde, die Mentzers, als Mrs. Mentzer noch eine Spangler war. Benjamins Mutter, die mit Mädchennamen Verna Rahn hieß, war mit glänzenden dicken Ponys abgebildet. An anderen Stellen im Jahrbuch trat sie im Reitkostüm mit Stiefeln und Jodhpurs auf, in elegantem Etuikleid und mit glitzerndem Stirnband und in einer Matrosenbluse mit dunklem Halstuch – der Uniform des Hockey-Teams, für das sie als «Co-Captain» und «Rechtsinnen» aufgeführt war. Sie war Jahrgangsschriftführerin gewesen, erfuhr ihr junger Sohn, und Präsidentin des Wanderclubs, «eine gewisse blauäugige Maid aus Firetown, Pa.», eine mit «einer echten angeborenen Liebe zur Natur», die «in halsbrecherischem Tempo reiten konnte». Das Motto, mit dem die Herausgeber des Jahrbuchs sie bedacht hatten, lautete: «Hell wie ein Stern, wenn nur einer am Himmel leuchtet».
    Das Motto seines Vaters war «Der Grund für den Witz der anderen», sein Spitzname war «Foss», und der ihm gewidmete Text war eine ziemliche Hänselei, nannte ihn einen «Sonnenstrahl» und bescheinigte ihm: «Nicht weniger als dreizehn Vertreterinnen des schönen Geschlechts sind Opfer seiner gewinnenden, launigen Veranlagung geworden.» Und noch mehr an den Haaren herbeigezogen: seine Heimatstadt in New Jersey sei «berühmt geworden aufgrund seiner funkelnden Geistesgaben». Aber die photokopierten College-Zeugnisse, die zu einem späteren Zeitpunkt ins Jahrbuch geheftet worden waren, zeigten, dass er überwiegend Cs und sogar Ds bekam, wohingegen Verna Rahn As und Bs einheimste; sie war besonders beschlagen in Latein, obwohl Benjamin sie nie einen einzigen lateinischen Satz hatte sagen hören. Das College hatte allem Anschein nach den Zweck gehabt, Geistliche und Ehen zu produzieren; die Seiten am Ende waren einem Tagebuch

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