Die Tränen meines Vaters
Paar.
Als die Witwenschaft seiner Mutter sich über ein Jahrzehnt hingezogen hatte und ins fünfzehnte Jahr ging, war es, als ob ihr Sohn, der versuchte, sie jeden Monat für ein paar Tage zu besuchen, immer der einzige Mann in ihrem Leben gewesen sei. Wenn sie von ihrem Ehemann sprach, dann im Ton bestürzter Erinnerung, so wie ihr auch plötzlich der dunkeläugige kleine Schlouck-Junge vor Augen kam, mit dem sie zur Schule mit nur einem Unterrichtsraum gegangen war, die sandige unbefestigte Straße hinunter, die an der Farm ihrer Eltern vorbeiführte, über die Anhöhe zur Hauptstraße. «Meine Mutter fand, dass diese Leute zu dunkel waren», sagte sie dann. Oder von ihrem Mann: «Als sein Herz anfing, verrückt zu spielen, war er ganz erpicht darauf, seine gesparten Tausend in den Pensionsfonds des County einzuzahlen. Er sagte, er könne zum ersten Mal in seinem Leben Tageslicht sehn.»
«Tageslicht?»
«Ich weiß nicht, wie viel Tageslicht er seiner Meinung nach noch erwarten konnte. Aber er wollte mich abgesichert zurücklassen. Mit dem Autofahren war’s dasselbe. Ich war nicht mehr gefahren, seit mein Vater seinen Biddle verkauft hatte und in die Stadt gezogen war. Aber dein Vater hat mich gezwungen, er hat mir sogar Fahrstunden von einem Lehrer an der Highschool geben lassen, damit ich meinen Führerschein bekomme. Er wusste, dass ich ohne Führerschein nicht hier draußen bleiben konnte.»
«Also war er doch ein Heiliger», sagte Benjamin ironisch.
Die Ironie entging ihr. Sie sagte ernst: «Er wollte einer sein. Seine Mutter war schrecklich religiös gewesen, so erfüllt von guten Werken, dass sie ihre eigene Familie darüber vergaß. Aber er hatte diese Zweifel. Wir alle hattendie, damals. Wir lasen Mencken, Shaw, H. G. Wells, Sinclair Lewis. Nichts war heilig. Wir lachten über alles, auch über die Schule, wo die Hälfte der Lehrer ordiniert war und die Hälfte der Jungen dasselbe Ziel hatte. Natürlich, wir waren jung – wir konnten es uns leisten zu lachen. Dein Vater war ein solcher Spaßmacher, so gut gelaunt in Gegenwart von Leuten, die ihn nicht kannten, dass es am Anfang ein Schock für mich war, wenn er diese schrecklichen Depressionen bekam. ‹Blues› nannte er sie. Er saß dann in einem Sessel und rührte sich nicht. Alles enttäuschte ihn, besonders ich.»
«O nein, das glaube ich nicht!» Der Protest war höflich; Benjamin war aufgewachsen mit der Vorstellung, dass die Ehe seiner Eltern ein Fehler gewesen war, zum Teil wiedergutgemacht durch seine Geburt.
«Nur meine Mutter nicht», fuhr seine Mutter fort und sah an ihm vorbei aus dem zerschlissenen Ohrensessel heraus, in dem sie jetzt den größten Teil ihrer Tage verbrachte und aus dem sie sich nur erhob, um den Hund zu füttern und das Fernsehprogramm zu wechseln. «Er hat sie bewundert. Sie hatte eine schnelle Auffassungsgabe, die ich nicht hatte; sie konnte Geld machen. Sie hat die Farm bewirtschaftet, und das hat meinen Vater reich gemacht, eine Weile, bis er alles verlor, weil er auf die Wertpapiertipps von Freunden gehört hat. Das war unsere Tragödie, falls dein Vater und ich eine hatten: wir wussten nicht, wie man zu Geld kommt. Und er war der einzige meiner Verehrer, den sie gebilligt hat. Das Komische war, er war dunkel, wie Sammy Schlouck. Er konnte braun werden, dein Vater, im Gegensatz zu dir und mir. Wir haben die Art von Haut, die bloß Sonnenbrand bekommt.»
«Vielleicht war das die Anziehungskraft zwischen euch. Gegensätzliche Hauttypen.»
Sie ignorierte die Idee. «Gab es eine Anziehungskraft? Oder haben wir uns bloß nach jemandem umgesehen, der das Leiden durchhielte, das wir unserer Ansicht nach verdienten? Es war uns beiden peinlich, dass wir geboren worden waren. Meine Eltern hatten sich einen Jungen gewünscht, und Daddy war das jüngste von vier Kindern, ‹ein Maul mehr, das gestopft werden musste›, so kam er sich vor. Wir hatten keine glückliche Kindheit gehabt, keiner von uns. Aber du, du hast es geschafft. Wir konnten es beide kaum fassen, als wir das sahen. Wir konnten nicht begreifen, wie du das gemacht hast.»
«Ich hatte liebevolle Eltern», sagte Benjamin artig. Eltern, das sagte er nicht, die niemanden sonst hatten, den sie lieben konnten.
«Nein», widersprach sie störrisch, «es hat an dir gelegen, du hast es aus dir selbst geschaffen, in diesem trostlosen Haushalt. Ethel Spangler, nachdem sie Howard Mentzer geheiratet hatte, aber bevor sie ihre Tochter bekam, schaute auf einen
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