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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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ohnmächtig geworden im Zug, und ich habe große Schweißflecken unter den Armen gehabt. Meine Schwiegermutter soll gesagt haben, sie hätte gedacht, dass nur Farbige im August heiraten. Sie hatte Diabetes und war schon sehr krank, die ganze Zeremonie war überstürzt arrangiert worden, damit sie nicht im Voraus davon erfuhr, und als sie’s dann erfuhr,fiel sie in Ohnmacht und war tot. Zumindest haben die andern Fosters das behauptet. Dein Daddy sollte eigentlich nicht heiraten, er sollte derjenige sein, der der Mutter bei ihrem Siechtum zur Seite steht. Mir wurde klar, als die andern mir das sagten – es muss meine Schwägerin gewesen sein, die war immer sehr freigiebig mit ihren Auskünften –, mir wurde klar, dass es zwei Arten von Frauen gibt, die eine, die wirklich ohnmächtig wird, und die andere, die nur beinah umfällt, wie ich. Als wir wieder in unserm winzigen Luxusabteil im Pullman waren, sagte dein Vater, ich stinke wie ein Schwein.»
    «O nein!», fühlte Benjamin sich verpflichtet zu protestieren, auf die Gefahr, dass sie in eine noch bedrohlichere, unberechenbare Wut geriet.
    «Er hatte recht», sagte sie. «Ich war klitschnass, und das Kostüm war ruiniert. ‹Schwein› war nicht das schlimmste Wort, das er je in den Mund nahm. Unsere sogenannten Flitterwochen, das ganze erste Jahr, als er mit der Landvermessungs-Crew in den Kohlegebieten unterwegs war und ich ihn begleitete, sind wir nur in billigen Pensionen abgestiegen, das waren reine Puffs. Man traf die Mädchen auf der Treppe, wenn sie ihre Kunden hochschleppten, die konnten kaum gehen, so betrunken waren sie. Tagsüber schliefen alle, außer mir. Ich habe ungeheuer viel gelesen – alle Russen und Balzac, Flaubert. Mit Dickens konnte ich mich nie anfreunden – zu viel Humor. Eine der Puffmütter sagte mir, worauf man bei einem Mädchen besonderen Wert legt, sind Füße mit hohem Spann. Das sagt einem alles, was man wissen muss. Ich hatte Plattfüße, allerdings war sie zu höflich, mich darauf hinzuweisen. Mit den Phantasien, die die Mädchen auf der Treppe bei deinem Vater auslösten, konnte ichnicht mithalten – Gott sei Dank wurde ich schwanger mit dir und konnte nach Hause zu meinem Vater. Ich wünschte, die Leute, die hinkritzeln, was für ein Heiliger dein Vater war, hätten hören können, wie er redete, wenn wir zu zweit aufeinanderhockten, wie brünstige Hunde.»
    Sie machte voller Ekel eine Handbewegung zu dem Stapel Beileidsbriefe auf dem Messingtablett hin, und als Benjamin am nächsten Tag aufbrach, waren sie verschwunden, unbeantwortet.

    Er hatte sich während seiner ganzen Kindheit nach den Zeichen glücklicher Eintracht gesehnt, die er bei den Eltern seiner Freunde sah – einen heimlichen physischen Wohlstand, eine Respektabilität, die als hart erkämpfte Gutgelauntheit in die Gesellschaft sickerte. Seine Eltern gingen fast nie aus zu Partys, und wenn sie es doch taten, war sein Vater hinterher meist krank vom reichhaltigen Essen und ungewohnten Alkohol. Er hatte einen presbyterianischen Magen. Aber ihre alten College-Freunde, die Mentzers, richteten jedes Jahr zu Silvester ein Fest aus, zu dem auch andere Paare kamen, die auf dem Agricola zusammengefunden hatten, und seine Eltern gingen dann in die Dunkelheit hinaus mit ihrer, wie Benjamin sich das vorstellte, alten College-Fröhlichkeit. Bei anderen Zusammenkünften hatte er gehört, wie Mrs. Mentzer, die einstmals schöne Ethel Spangler, seinen Vater «Fossie» nannte, mit einem zärtlichen Schnurren, das den unvorstellbaren Eroberer von «nicht weniger als dreizehn Vertreterinnen des schönen Geschlechts» beinah Gestalt annehmen ließ.
    Es war eine Tochter aus dieser Gesellschaft, nicht die Tochter der Mentzers, sondern die der Reifsneiders, mit derBenjamin sein erstes richtiges Rendezvous hatte – seine erste von den Eltern gebilligte Verabredung mit dem schönen Geschlecht. Er war seit wenigen Monaten alt genug, Auto zu fahren, und in einem Aufzug, den seine auf gute Kleidung Wert legende Mutter sorgfältig abgestimmt hatte – Sportsakko, Schlips, sauberes Hemd –, zog er los. Er und Ada Reifsneider gingen ins Kino und hinterher in den die ganze Nacht geöffneten Diner in West-Alton und bestellten sich Hamburger und Eiscreme-Soda. Sie besuchten verschiedene Highschools und hatten nicht viel Gesprächsstoff, außer ihre Eltern und den Film, den sie gerade gesehen hatten, aber sie kamen gut zurecht, sodass er, vor ihrem dunklen Haus parkend, sich berechtigt

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