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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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wie Millionen seiner Religionsbrüder in der ganzen Welt Mohamed genannt, an einem dunklen unheiligen Platz, in einem eingeschossigen Strip-Lokal an einer Durchfahrtsstraße in einer nicht gerade feinen Gegend von Floridas Ostküste, und zögerte kurz, bevor er sich einen vierten Scotch on the rocks bestellte. Sein Gefährte, ein jüngerer, dünnerer Mann namens Zaeed, hob eine schmale Hand vom Tisch, als wolle er protestieren, ließsie dann aber gewichtlos zurückfallen. Zu ihrem Trainingsprogramm hatte gehört, dass sie sich einprägen mussten, sich nicht zu unterscheiden, und sich zu betrinken war eine sichere Methode, sich Amerika anzupassen, dieser unreinen Gesellschaft, die entstellt war von einer erschreckend laxen Handhabung der Gesetze und einem elektronischen Delirium vermeintlicher Möglichkeiten und Freuden. Die Luft selbst, eiskalt klimatisiert, roch nach Falschheit. Der Whiskey brannte in Mohameds Kehle wie ein Feuer, das ihn wiederholt aufforderte, seinen Mut, seine Entschlossenheit zu erproben.
Es ist das von Gott entzündete Feuer, das über die Herzen der Verdammten kommen soll.
    Auf der niedrigen Bühne, unbeachtet von den meisten Kunden, die verstreut an kleinen Tischen saßen, und nur dann und wann von seinem eigenen flüchtigen Blick gestreift, wand sich eine junge Frau, nackt bis auf die strategischen, mit Flitterbändern bedeckten Stellen und einem übers Gesicht gestäubten Glitzerpuder, zu einer irritierend wummernden Musik um eine Messingstange. Das Mädchen war schmal wie ein hungerleidender Junge, bis auf die Vorsprünge aus Fett, die Frauen von Männern unterscheiden; diese hier, das wusste Mohamed, waren aufgeschwollen von Injektionen, um straff und rund und perfekt wie bei einer Puppe auszusehen. Die Hure verrenkte sich kopfüberhängend an ihrer Stange und spreizte die Beine so weit, dass ein mit Funkelsteinchen besetztes Band im Licht zurückflappte. Ihre langen Haare hingen in einer schweren Platingarbe auf den Bühnenboden, der mit dem Schmutz von den Füßen ihrer Schwestern befleckt war. Es gab drei Tänzerinnen: eine Negerin, die barfuß auftrat und Sohlen und Handflächen von der Farbe polierten Silbers aufblitzen ließ; eine hennaroteSchlampe mit Pfennigabsätzen aus Glas, die unentwegt die Zunge zwischen den Lippen flattern ließ und sogar so tat, als lecke sie die Messingstange; und die Blonde, die am wenigsten überzeugend tanzte, mit mechanisch wiederholten Bewegungen, während ihre Augen, deren Puppenaugenblau mit dickem Schwarz umrandet war wie auf einer ägyptischen Wandmalerei, ins Dunkel starrten, ohne Blickkontakt herzustellen.
    Sie sah ihn nicht, und Mohamed, in seiner Seele, sah sie nicht. Zaeed, mit dem Mohamed noch einmal den Ablauf ihres Unternehmens durchging – die vielen fein ineinander greifenden und aufeinander abgestimmten Einzelheiten, bis zu den Mobiltelephonanrufen in der letzten Minute, die den Befehl zum Handeln geben würden –, hatte süßes Zeug getrunken, Daiqiri genannt, und war überstürzt zur Toilette gelaufen. Zaeed war jung und seit fast zwei Monaten ansässig in diesem Land von Ungläubigen; der Alkohol hier war noch immer Gift für ihn, und die zügellosen Frauen waren faszinierend. Ihm war noch nicht Mohameds undurchlässiger Panzer gewachsen, und sein Englisch war außerordentlich schlecht. Die kugeligen Brüste der Hure hingen parallel zu ihren Haaren herunter, und das rasierte oder gezupfte Dreieck oben zwischen ihren Beinen glänzte.
    Durch halb geschlossene Augen und die wechselnden Durchsichtigkeiten des Whiskeys sah Mohamed, dass es eine Ähnlichkeit gab zwischen den Bildern: zwischen diesem hier vor ihm und den Vorstellungen, die die ignoranten Fellachen sich vom Paradies machen, wo schlehenäugige Jungfrauen auf seidenen Kissen inmitten fließender Ströme warten, den Märtyrern köstliche Früchte zu reichen. Aber diese Huris sind Manifestationen auf dem höchsten Grad der Reinheit,weiß in ihrem Fleisch und anmutig in ihrer Ergebenheit. Sie sind strahlende Negative dieser unterernährten Schlampen, die sich für schäbige Dollar auf dieser sudeligen Bühne verrenkten.
    Eine andere Schlampe, die angejahrte Kellnerin, faltig und fett, eine Sickergrube voll geronnener Geilheit, voll ranzig gewordener amerikanischer Möglichkeiten, wedelte mit einem Zettel. «Feierabend … muss abkassieren … achtundvierzig Dollar.» Ihr näselnder Akzent war schwer zu verstehen, und so gereizt wie sie war, nahm er an, dass er sie an diesem

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