Die Tränen meines Vaters
erwiesen zu haben. Jetzt hatte das Universum Dan gezeigt, wie viel es auf seinen guten Willen gab.
Er trat in den Supermarkt und schob den Einkaufswagen vor sich her. Der Laden war nicht mit Panikeinkäufern überfüllt, sondern, im Gegenteil, ziemlich leer und dunkler als gewöhnlich, fahlgrau und zwielichtig, wie eines jener vorchristlichen Totenreiche, Hades oder Scheol. Einige Leute bewegten sich durch die Gänge, an den Kästen mit Bagels und den Regalen mit hochpreisigen Gourmetsnacks vorbei, zögernd, wie zum ersten Mal; sie prüften flüchtig einer des anderen Gesicht, ob sie einander wiedererkannten, aber sie hatten schon einen Gruß vorn auf der Zunge. Ungläubigkeit wich Heiterkeit; sie nahmen es mit der Situation auf, sie waren nicht in Panik, sie demonstrierten dem Feind Gelassenheit.
Dan kehrte ins Apartment zurück, beladen mit Plastiktüten, zwei in jeder Hand; die Griffe, vom Gewicht der Orangen, der Milch und des Cranberrysafts zu dünnen Schnüren gezogen, hatten sich ihm in die Handflächen geschnitten. Emily war mit einem Haufen Bargeld und verschiedenen Plänen nach Hause gekommen. Schon wurden Schilder, die kommunale Veranstaltungen ankündigten, an Laternenpfosten befestigt; im Marriott oben, nahe der Borough Hall, konnte man Blut spenden, und in der Grace Church war für sechs Uhr ein Sondergottesdienst angesetzt. In der gedämpften Kameraderie der Menge, die sich im Marriott versammelt hatte, füllten Vater und Tochter Seite an Seite umständlicheFormulare aus, und per Megaphon wurde ihnen mitgeteilt, sie sollten nach Hause gehen, die Blutbank fließe über: «Für den Augenblick besteht kein Bedarf mehr, aber wenn sich wieder einer ergibt, haben wir ja Ihre Namen.» Da dämmerte ihnen, dass es so gut wie keine Verletzten gab; dass die Körper in den Trümmern der beiden riesigen Gebäude alle zerstückelt waren.
In der Kirche fanden er und seine vier Begleiterinnen Platz in einer hinteren Reihe, und er staunte über das Tier Mensch: wie Hunde kriechen wir zurück, die Hand eines Gottes zu lecken, Der, falls es Ihn gibt, uns soeben einen brutalen Fußtritt versetzt hat. Je härter Er tritt, desto inbrünstiger kuschen wir und kriechen zu Ihm, Seine Hand zu lecken. Die große alte Kirche, ein Relikt geistlichen Wohlstands aus der Zeit nach dem Bürgerkrieg, war zu diesem besonderen Anlass gut besucht, und die Pastorin, eine stämmige junge Frau mit einer Glocke aus glänzendem, kurzgeschnittenem Haar auf dem Kopf, verkündete mit Trompetenstimme, dass in diesem Augenblick mehrere Mitglieder der Gemeinde noch unter den Vermissten seien. Sie verlas ihre Namen. «Lasst uns beten für ihre Sicherheit und für die Seelen aller, die an diesem Tag umgekommen sind, und für das Schicksal dieser großen Nation.» Mit einem Rascheln, das in die Dunkelheit der Steingewölbe über ihnen aufstieg, beugten alle die Köpfe.
Dan fühlte sich unbeteiligt, wie ein Marsmensch auf Besuch. Sein Gefühl von Entfremdung hielt in den folgenden Wochen an, als von jedem Verandapfosten in Ohio Flaggen wehten und
God Bless America
mit Rasierschaum auf jedes Schaufenster geschrieben war. Als er, zwei Tage später als geplant, mit dem Bus wieder in Cincinnati ankam, sah er übereinen Fluss nicht auf rauchende Türme, sondern nach Kentucky, wo jeder Pickup-Truck ein bald zerfleddertes Banner nationalen Stolzes und Trotzes flattern ließ. Die Religiosität des Heartland, des konservativen Kernlands, auch wenn ihr Fundamentalismus und ihr bombastischer Puritanismus ihn oft hatten zusammenzucken lassen, war etwas, womit Dan ganz gut zurechtgekommen war; jetzt erschien sie ihm barbarisch. Im Fernsehen übte der Präsident sich unbeholfen in Kriegsrhetorik, dann gewöhnte er sich daran, dann machte er es ganz gut. Die Abendnachrichten zeigten, wie in New York City improvisierte Gedenkschreine auf den Gehsteigen und vor den Feuerwehrstationen in der ganzen Stadt aus dem Pflaster geschossen waren. Kerzen tropften unter den farbkopierten Bildern der für immer Vermissten, Gedenksträuße welkten in ihren Papiertüten und Plastikhüllen. Dan fühlte sich gekränkt von dem grotesken, mitleiderregenden Anblick einer großen, modernen Nation, die versuchte, sich mit der abgenutzten alten Magie von Fahnen und Kerzen Heilung zu verschaffen – der menschliche Geist gießt seine bunten vergeblichen Gesten hartnäckig in den Abgrund der Leere.
Einige Tage vor Dans Erkenntnis saß ein stämmiger, dreiunddreißig Jahre alter Muslim,
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