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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Bühne, wieder die
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mit den bloßen Füßen, in schleierige Tücher gehüllt, die bald fallen würden; das Licht im Lokal änderte sich, das Dunkel hob sich ein wenig, als der Punktscheinwerfer über sie hinspielte. Blasse Gesichter, Eingeborene dieser verlassenen Küste, wandten sichum, den Streit zu verfolgen. Das große Geheimnis, das Mohamed in sich trug, war um die Dicke einer Eierschale davon entfernt zu explodieren. Mehr als einmal waren kleine Zwischenfälle, Augenblicke des Unfriedens – ein Strafzettel am Auto, eine Vorladung der Einwanderungsbehörde, ein hastiger Versprecher gegenüber einem neugierigen Nachbarn, der auf diese hündische amerikanische Art freundlich sein wollte – dazu angetan gewesen, die ganze ausgefeilte, gründlich durchdachte Struktur offenzulegen; aber der All-Barmherzige hatte seine schützende Hand ausgestreckt. Der Große Satan war dumm und träge geworden; die zuckerige Kost der Freiheit hatte seine mechanisch begradigten Zähne weich gemacht.
    Mohamed fühlte sich mächtig dank seiner Beherrschtheit, sie zügelte seine Zunge, diesen Muskel, der Armeen zusammenruft und Berge bewegt. Er holte seine Brieftasche hervor und öffnete sie, um den dicken Packen von Zwanzigern, Fünfzigern und sogar Hundertern zu zeigen, Scheine, auf denen in trockener grüner Gravierung die toten Helden dieser von Juden dominierten Regierung abgebildet waren. «Reicht wohl, um eure beschissene Rechnung zu bezahlen», sagte er dem drohenden Mann im gelben T-Shirt . «Und hier, Mann, sehn Sie hier –» Nicht zufrieden mit dem Bargeld als Beleg seiner Potenz, zeigte Mohamed, zu rasch für eine nähere Überprüfung, die Karte, die ihn als eingetragenen Flugschüler auswies, und eine zweite, in Deutschland gefälscht, die bestätigte, dass er eine Lizenz als Pilot habe. «Ich bin Pilot.»
    Beeindruckt und besänftigt fragte sein Widersacher mit den schlaffen Bewegungen einer Zunge, die lange in Drogen eingeweicht war: «Hey, toll. Welche Airline?»
    Mohamed sagte: «American.» Es war eine intuitive Äußerung,die in dem Augenblick, da er sie aussprach, flammende Wahrheit wurde, wie die Suren seines Namensvetters, des Propheten, Wahrheit wurden, als sie aus des Verkünders Mund kamen und den Gläubigen Erlösung verhießen und den anderen das leuchtend lodernde Feuer. Er war kein lächerlicher gekreuzigter Gott gewesen, sondern der vollkommene Mensch,
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. Mohameds Behauptung klang so richtig, so prophetisch, dass er sie wiederholte und seinen glatzköpfigen, drogenumnebelten Feind herausforderte, ihm zu widersprechen: «American Air Lines.»

    Dort, wo Jim Finch in seiner abgeteilten Nische saß, in dem riesigen Stockwerk – volle viertausend Quadratmeter –, bevölkert von Wertpapierhändlern und ihren Computermonitoren, sah man von den Fenstern des Gebäudes hauptsächlich Himmel, wolkenlosen Himmel heute. Wenn Jim aufstand, konnte er New Jerseys flache Küste jenseits der Freiheitsstatue sehen. Aus dieser Höhe wirkte selbst die Statue, die in die andere Richtung sah, klein, wie die Souvenirstatuetten, die es an der Wall Street in jeder Touristenfalle zu kaufen gab. Jim wohnte in Jersey – drei Kinder, vier Schlafzimmer auf fünfhundert Quadratmetern in Irvington –, und von dort, wo er wohnte, konnte er, wenn er gute Aussichtspunkte zwischen den Asphaltdächern und Laubbäumen fand, sehen, wo er arbeitete. Um die Kinder zu beeindrucken, versuchte er, exakt sein Stockwerk ausfindig zu machen, indem er vom Dach die Etagen herunterzählte, aber in Wahrheit war es schwer, sich aus dieser Entfernung nicht zu irren; der Wolkenkratzer war aus vertikalen Rippen gebaut, die einzelne Stockwerke und Fenster zusammenfassten. Stahlrohre, wie eine Reihe Trinkhalme, stützten dieKonstruktion, und das machte die Fenster kleiner, als sie sein sollten, von Jims Arbeitsplatz hatte man eher einen Ausblick nach oben und nach unten als zu den Seiten. Heute waren die Fenster eine Reihe glatter blauer Paneele, nur dass seltsamerweise Rauch in ringelnden Schwaden und flatternde Papierfetzen von unten ins Blau eingedrungen waren. Vor einigen Minuten hatte es tief unter ihm, als er gerade mit einem Klienten telephonierte, einen dumpfen Schlag gegeben, weit weg, als werde an der West Street unten die Heckklappe eines Lastwagens zugeknallt, aber sein Schreibtisch hatte gezittert.
    Sein Funktelephon klingelte. Die Bewegung, mit der Jim es sich vom Gürtel schnappte, war reine Gewohnheit und blitzschnell, wie

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