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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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der Materie hatten gewirkt, das war die Antwort. Das Ereignis war klein unter der gelassenen Kuppel des Himmels. Gott hatte mitkeiner Hand eingegriffen, weil es keine gab. Gott hatte keine Hände, keine Augen, kein Herz, nichts.
    So war Dan, ein vierundsechzig Jahre alter Episkopale und beim Nachlassgericht zugelassener Anwalt, spät zu dieser Erkenntnis gelangt, die Kindern beim Tod eines Lieblingstiers kommt, Frauen beim Verlust eines Kindes, den Millionen, die Opfer des unerbittlichen Laufs von Krieg und Seuche werden. Die ihm zuteilgewordene Offenbarung kosmischer Indifferenz erregte ihn, obgleich seine eigene Auslöschung in dieser neuen Wahrheit enthalten war, wie eines der weißen Rechtecke, die in der kochenden Rauchsäule schwerelos aufstiegen und herumwirbelten. Er gehörte jetzt zum Durchschnitt der Menschheit in ihrem stoischen Atheismus. Er hatte sein ganzes Leben lang gegen diese Einsicht angekämpft, mit Gebeten und Vorwänden, hatte Zuflucht gesucht in der Frömmigkeit seiner Ohio-Vorfahren und in scharfsinnigen, eleganten alten Büchern – Kierkegaard, Chesterton –, zum Trost gelesen während der Adoleszenz und im frühen Mannesalter. Aber wäre er einer von den Hunderten in jenem Gebäude gewesen – sein glattes teleskopartiges In-sich-Zusammenfallen ein Anblick von einer gewissen Schönheit, wie das durch Farbe verstärkte stellare Aufblühen photographierter Supernovae, nur dass es sich nicht in Äonen entfaltete, sondern in Sekunden –, hätten all das Metall und der Beton eine Unze weniger gewogen oder eine Mikrosekunde gezögert bei seinem zermalmenden, zerstückelnden, zerstäubenden Niederstürzen?
    Nein.
Das große
Nein
kam über ihn nicht in der Finsternis, wie religiöse Legenden sagten, sondern an einem Tag maximaler Sichtweite; «brutal klar», beschrieben Piloten in Interviews nach dem Geschehen die Bedingungen. Als Dan vonseiner Offenbarung ganz durchbebt war, erinnerte er sich, mit heiß aufschießender Panik, dass seine Tochter Emily im Finanzgeschäft arbeitete – in Midtown, schon wahr, aber die Geschäfte führten sie dann und wann ins World Trade Center, zu Frühstücksverabredungen ganz oben, im obersten Stockwerk, aus dem es heute kein Entkommen gegeben haben konnte.
    Betäubt, leer kehrte er von seinem Aussichtspunkt auf der Penthouse-Terrasse in Emilys Apartment zurück. Lucille, die phlegmatische Kinderfrau aus Anguilla, und Dans jüngere Enkeltochter, die fünfjährige Victoria, die eine Erkältung hatte und darum nicht in der Schule war, saßen in der Bibliothek. An den Wänden des kleinen, rottapezierten Zimmers zogen sich Nussbaumregale hin. Die Bücher stammten aus Emilys College-Tagen und ihrer Zeit an der Business-School, und etliche waren darunter – Thriller aus der Zeit des Kalten Kriegs, überholte medizinische Texte –, die ihrem Mann gehört hatten, von dem sie geschieden war, so wie Dan Kellogg sich von ihrer Mutter hatte scheiden lassen. Hatte Emily den Hang zum Single-Dasein geerbt, so wie sie ihres Vaters schlanken Körperbau und seine bündige, leicht lächelnde Art geerbt hatte? Lucille hatte das Rouleau vor dem Fenster, das auf Manhattan hinausging, heruntergezogen. Sie berichtete Dan: «Ich sage ihr, sie soll nicht aus dem Fenster sehn, aber das Fernsehen zeigt nur die Katastrophe, jedes Programm, das wir einschalten.»
    «Böse Männer», sagte die kleine Victoria eifrig, mit stolpernder Zunge – die Erkältung machte ihre Aussprache noch unverständlicher als sonst –, «böse Männer, wollen
alle
Gebäude kaputt machen!»
    «Das sind aber furchtbar viele Gebäude, Vicky», sagte er.Wenn er mit Kindern sprach, wehrte sich etwas Strenges und Legalistisches in ihm gegen Ungenauigkeit.
    «Warum lässt Gott böse Männer so was tun?», fragte Victoria. Das Gesicht des Kindes sah fiebrig aus, nicht von der Erkältung, sondern von dem, was sie durchs Fenster gesehen hatte, bevor das Rouleau heruntergezogen worden war. Dan gab die Antwort, die er gelernt hatte, als er noch glaubte: «Weil Er den Menschen die Wahl lassen möchte, gut zu sein oder böse.»
    In ihrem Gesicht, so fein in seinen Einzelheiten, seiner Textur – brutal fein –, malte sich eine Sekunde lang die Erwägung dieser Theologie. Dann warf sie die Arme weit zu den Seiten, und es brach aus ihr heraus: «Böse Männer können alles machen, was sie wollen, einfach alles!»
    «Nicht immer», korrigierte Dan sie. «Manchmal halten gute Menschen sie auf. Meistens, genau genommen.»
    In

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