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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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amerikanischen Football gewöhnt war. Denselben Augen erschien es merkwürdig, dass sie fast nackt spielten, in kurzen Hosen, und sich trotzdem offenbar niemand verletzte, jedenfalls nicht an dem Tag damals.
    Sie tauschten die einleitenden Höflichkeiten früh auf dem Flug aus, gleich nach dem Abheben in Newark. Das Flugzeug hatte mit abgestellten Triebwerken eine halbe Stunde auf der Startbahn gestanden, hatte sich dann aber in die Höhe gestoßen, war gestiegen und in Schräglage gegangen, sodass der riesige Flügel mit der dünnen kleinen Antenne an der Spitze drohte – so schien es ihrem nicht mehr jungen Gleichgewichtssinn –, sie auf die sonnengestreifte flache Erde mit ihren Straßen und Hausdächern und Highways zurückzukippen. Es war ein ungewöhnlich klarer Tag. Carolyn war in ihrem Leben sehr oft geflogen, mehr als sie es sich als Kind hätte träumen lassen, als Fliegen etwas war, das Helden taten, Testpiloten und Charles Lindbergh, und die ganze Familie in den Garten hinausrannte, um hoch oben ein Luftschiff vorüberschweben zu sehen. Die ersten Male war sie zum College in Ohio geflogen und auf dem alten Cleveland-Hopkins-Flugplatz gelandet, in holprigen zweimotorigen Propellermaschinen, frühen Douglas-Kisten ganz aus Metall. Daddy, ein Liebhaber des Fortschritts, brachte die Familie für einwöchige Frühlingsferien in einem viermotorigen Flugboot der British Air von New York zu den Bermudas, und dann setzte er sie für ein Jahr weiterführenden Studiums in Übersee in einen Pan-Am-Boeing-Clipper nach London: ein Auftank-Stopp in Grönland und richtige Betten, in denen man sich ausstrecken konnte, und Mahlzeiten mit echtem Silberbesteck,aber den Leuten war zum Essen zu übel. Nach der Heirat mit Robert flog sie in die Karibik, nach Arizona und Paris in die Ferien, und begleitete ihn, als er sich einen Namen gemacht hatte, auf einigen seiner Vorlesungsreisen, und sie flog für drei Tage zu ihren Kindern, als die geheiratet hatten und verstreut in Städten wie Minneapolis und Dallas lebten, und zu matriarchalischen Besichtigungen neuer Enkelkinder – all den Zeremonien, die ihre Nachkommen verlangten, während sie heranwuchsen und in die Jahre kamen. Als Robert gestorben war, hatte sie sich eine Weltreise gegönnt, eine Witwe, die sich in ihrem Kummer belohnte, was ihr niemand verargen konnte, obgleich ihre Kinder, ihr Erbteil im Sinn, durchaus die Brauen hochzogen. Sie konnten ihr Bedürfnis nicht verstehen, dass sie nach den vielen Jahren, in denen sie ihr Leben mit einem Menschen geteilt hatte, allem, was mit Familie zu tun hatte, den Rücken kehren wollte.
    Alles in allem konnte sie die Hunderttausende Meilen, die sie geflogen war, gar nicht zählen, aber sie hatte es eigentlich nie gemocht – das panikartige Rasen des Flugzeugs in den Lift-off, wie ein Cartoon-Tier mit wirbelnden Beinen und gefletschten Zähnen, und dann das jähe seitliche Wegkippen und Sich-auf-unsichtbare-Luft-Lehnen, und das Schwanken im Geräusch der Motoren, die niemand im Cockpit erklärte, und das plötzliche, unerfindliche scharfe Rütteln über dem Meer, der Kaffee schwappte in der Tasse wild hin und her, das Herz schlug einem im Hals. Die Flugzeuge waren größer geworden und flogen ruhiger, gewiss. Manche der frühen Flüge, wenn sie daran zurückdachte, waren kaum angenehmer gewesen als die Achterbahnfahrten im Vergnügungspark, die ja dazu da waren, einem Angst zu machen –die kleinen silbernen Turboprops, die über die Appalachen hüpften, unten winzige Flüsse, die die Sonne auffingen, die gedrungenen Island-Hoppers von San Juan aus, wo man den steilen Mittelgang hinaufging und die schönen schwarzen Stewardessen einem Bonbons zum Lutschen gaben, gegen den Druck in den Ohren. Die Leute zogen sich damals an wie zum feinen Fünf-Uhr-Tee, trugen sogar – kann das sein? – Hüte und weiße Handschuhe. Die großen breiten Jets jetzt waren wie Busse, die Leute trugen irgendwelche alten scheußlichen Klamotten, sahen nie von ihren Laptops auf und spielten die persönlich Beleidigten, wenn sie nicht pünktlich auf die Minute landeten, als ob sie auf soliden eisernen Bahnschienen am Himmel unterwegs wären.
    Sobald der Pilot mit seiner schleppenden Sprechweise die Erlaubnis gegeben hatte, das man jetzt aufstehen und elektrische Apparate benutzen könne, hatte der nette junge Mann sie gefragt, ob es ihr etwas ausmache, wenn er sich woanders hinsetze, es gebe so viele leere Sitze und sie hätten dann beide mehr Platz.

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