Die Tränen meines Vaters
taute Hedwigs träge Passivität zu laxer Vertraulichkeit auf. Sie nannte Franz bei einem Spitznamen –
Affe
, und er nannte sie
Affenkind
. Sie schockierte Ed, als sie aus heiterem Himmel auf Franz’ «süßen kleinen Heini» zu sprechen kam. Ed hatte das Wort «Heini» seit seiner Kindheit nicht mehr gehört, und amerikanische Frauen behielten noch in den Siebzigern jegliches Interesse an männlichen Derrières für sich – die Wörter «Hintern» und «Po» und «Arsch» waren für, falls überhaupt, intimes Miteinander reserviert. Er schlussfolgerte, dass den beiden Deutschen, kinderlos, auf fremdem, einstmals feindlichem Territorium, ihr sexuelles Band viel bedeutete. Aber hier, zu viert, war es, als ob das Paar in seinem Eifer, Nähe zu schaffen, Sex als Vorwand für dunklere Vertraulichkeiten benutzte. Dies waren richtige Deutsche, sagte Ed sich – die Leute, gegen die sein Bruder gekämpft hatte, nicht die «Dutch», die in dies Land gekommen waren, um als Farmer oder Brauer zu arbeiten, und nicht die jüdischen Deutschen, die hierhergekommen waren auf der Flucht vor Hitler. Diese Deutschen waren geblieben, wo sie waren, und hatten gekämpft. Sie hatten hart gekämpft.
Spät auf ihrer kleinen Party, als der Abend im frühen Dezember sich behaglich um sie verdunkelte, gab Hedwig mit einem Lächeln, das beträchtlich breiter war als ihr übliches vorsichtiges, bekannt: «Ich war eine Hitlerschlampe.» Sie meinte, dass sie als Teenager mit Millionen anderer Mitglied beim BDM gewesen sei, beim Bund Deutscher Mädel. Ihre Bemerkung hatte sich aus der Schilderung ergeben – faszinierendfür die Amerikaner, Ed war während des Kriegs ein Junge gewesen und Andrea noch nicht geboren –, wie die Stimme des Führers im Radio geklungen hatte. «Es war entsetzlich», sagte Hedwig, ihre Worte mit besonderer Sorgfalt wählend und die Augen schließend, als höre sie die Stimme gerade noch einmal, «aber aufregend. Ein Kreischen, wie wenn ein wütender Ehemann mit seiner Frau redet. Er liebt sie, aber sie muss sich noch entwickeln. Sie beide wissen natürlich, dass in einem deutschen Satz das Verb in zusammengesetzter Form am Ende des Satzes stehen muss, einerlei, wie lang der Satz ist; Hitler war davon befreit. Er war von der Grammatik ausgenommen. Es war ein Zeichen dafür, wie weit er über uns stand.»
Und Ed sah auf ihrem Gesicht ein Flackern grammatischen Zweifels, als sie den letzten Satz im Kopf überprüfte und nichts Falsches daran finden konnte, so merkwürdig er in ihren Ohren auch geklungen hatte.
Die beiden anderen Gelegenheiten, da Ed und Andrea, Franz und Hedwig zusammenkamen, hingen noch Jahrzehnte später in Eds löcherigem Gedächtnis.
Das erste Mal war ein bitterkalter Januarabend, und die beiden Paare und noch ein drittes, Luke und Susan, waren zusammen zum Essen ausgegangen. Luke und Susan waren kaum ein Paar zu nennen, denn Luke, ein schmächtiger Jüngling mit einem gequälten Blinzeln, wurde allgemein für schwul gehalten. Er war als Susans Gast mitgekommen. In der Klasse, wo die zurückgegangene Schülerzahl zu noch mehr Ungezwungenheit führte, hatte Hedwig, von der Lektion über
weil
,
um zu
und
damit
abschweifend, den Wunsch nach authentischer kantonesischer Küche geäußert: nichtimmer dieser Mischlingsfraß – sie sprach das Wort mit Bedacht aus in offenkundiger Ignoranz seiner üblen historischen Konnotationen –, der einem als chinesisches Essen angeboten werde. Susan, eine große, überschwängliche Brünette, die zu pauschalen Proklamationen neigte, hatte erwidert, dass sie genau das richtige Lokal kenne, ein unglaublich winziges Familienrestaurant in Chinatown. Man kam überein, dass nach der nächsten Unterrichtsstunde – nach Stunden, die am späten Nachmittag stattfanden, tauchten die Schüler aus bedrückender Helligkeit ins Januardunkel – Franz alle fünf mit seinem Wagen abholen würde, einem Wagen, der sich als stolz gepflegter Buick aus den frühen Sechzigern entpuppte. Die Amerikaner kicherten beim Einsteigen über den inwendigen Reichtum an weichem Velours, über die Geräumigkeit, die sie an das naivere, bombastischere Amerika ihrer Eltern erinnerte. Chinatown erwies sich als überfüllt und zu eng für den breiten Wagen, und Franz parkte schließlich an einer riskanten Stelle an einer Ecke der Beach Street; die vordere Stoßstange und der wulstige Kühlergrill ragten fast in den Verkehr hinein.
Das Essen, rasch serviert im dampfenden, klirrenden Gedränge
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