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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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eines, wie es schien, Rudels von Kindern in Slippers, entsprach nicht Susans Erwartungen, aber sonst beschwerte sich niemand. Das Tsingtao-Bier kitzelte Franz’ Gaumen, und gegen die halbherzigen Einwände seiner mittellosen Begleiter bestand er darauf, die Rechnung zu übernehmen. Als sie jedoch mit übervollen Mägen und überhitzt und zu laut redend in die frostige Januarnacht hinausgingen, war der Platz an der Beach Street, wo Franz sein Auto geparkt hatte, leer. Der nostalgische große Buick war weg.
    Ed, im Herzen ein Junge vom Land, nahm das Schlimmstean: das Auto war gestohlen worden; der Verlust war total und unabänderlich. Wenn er allein gewesen wäre, hätte er einfach zu Fuß zum South End zurückgehen können, und er malte sich voller Groll die lange Tour mit dem Taxi oder der Straßenbahn aus, die er auf sich nehmen musste, um Andrea zum Haus ihrer Cambridge-Witwe zu bringen. Die anderen, city-smart, hatten eine weniger trostlose Erklärung für das Verschwinden des Buick. Franz und Luke stimmten überein, dass das Auto, illegal geparkt, von der Polizei abgeschleppt worden sei, und ein Anruf von einem nicht gänzlich vandalisierten öffentlichen Telephon – das Reden übernahm Luke – bestätigte, dass sie recht hatten. Das Auto wurde gefangen gehalten auf dem großen eingezäunten Verwahrungsplatz hinter der Stelle, wo die Berkeley Street die Massachusetts Turnpike querte, und konnte gegen Bezahlung von Geldbuße und Gebühren befreit werden. Die Muellers erboten sich, gleich an der Beach Street gute Nacht zu sagen und ein Taxi zu nehmen, um ihr Auto auszulösen, aber die Amerikaner wollten nichts davon hören. Sie waren zu viele für ein Taxi, also gingen sie gemeinsam, mit vor Kälte brennenden Wangen, die Meile bis zu dem tristen städtischen Gelände, zu Fuß.
    Susan, mit weißen Ohrenschützern und einem langen gestreiften, um den Hals gewickelten Schal, führte die Parade an. Ihre dunklen Haare schimmerten unter den Straßenlichtern. Überall glitzerten Glasscherben. Andrea, so kam es Ed vor, glühte vor religiösem Eifer; die physische Herausforderung des beschwerlichen Fußmarschs durch den Unrat am desolaten urbanen Rand der Turnpike, in Gesellschaft einer Gruppe, die das Ziel hatte, etwas Verlorenes wiederzugewinnen, sprach ihren asketischen, kooperativenGeist an. Während die tapfere Parade der sechs sich durch die verwüstete Stadtlandschaft mit ihrem Geröll, ihren heruntergerissenen Spielplatzumzäunungen und über hartgefrorene Pfützen bewegte, dachte Ed an das bombardierte Berlin und an Städte, die Berlin bombardiert hatte, und an die schwarzweißen Filme der Kriegsjahre, die seiner Kindheit ein unerlaubtes Hochgefühl beschert hatten.
    Es war eine Episode von unübertroffener Solidarität und spontanem Vergnügen mit den Deutschen. Franz hatte für ihr Festmahl bar bezahlt – damals, als Kreditkarten noch kein allgemein übliches Zahlungsmittel waren –, und jetzt fehlten ihm die Dollars, die der schwerlidrige, unerbittliche Polizeibeamte in seiner verbarrikadierten, gemütlich geheizten Bude verlangte. Die anderen brachten rasch die Summe zusammen und erhoben ihre amerikanischen Stimmen, um Franz’ Akzent zu übertönen. Der Cop hatte etwas gegen den Akzent oder gegen die anbiedernde Art, die Franz sich in den Nachkriegsruinen zugelegt hatte. Der Cop argwöhnte, dass man sich über ihn lustig machte; er war mürrische Feindseligkeit gewohnt, nicht aber eine Traube vergnügt schwatzender Abschleppopfer. Die Deutschschüler stiegen in die befreite Vintage-Limousine wie Klassenkameraden auf einem Schulausflug, der auf erheiternde Weise eine kleine Spur danebengegangen war.

    Beim zweiten Mal war es auf der Frühlingsparty, am Ende des Deutschunterrichts. Die Party fand nicht bei den Muellers im feuchten Erdgeschoss-Apartment am Kenmore Square statt, sondern in einem neuen, geräumigeren auf einer fünften Etage in Boston, nahe dem Massachusetts College of Art und, auf der anderen Seite der Straßenbahnschienen,dem gefährlichen Mission Hill. Hier draußen, hinter dem Museum of Fine Arts, hatte die Stadt etwas Verwegenes, etwas mit niedrigen Mieten Auftrumpfendes, bohemienhaft Großspuriges. Die Festlichkeit war ambitiös; alle Schüler aus beiden Semestern waren mitsamt ihren besseren Hälften eingeladen worden, außerdem Leute aus dem Photostudio, in dem Franz arbeitete; dazu kamen noch etliche andere Versprengte, die die Deutschen zusammengetrieben hatten. In diesem wirren

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