Die Tränen meines Vaters
Schnallengürtel und Flauschfutter trug, den meine Eltern mir zu meiner Verlegenheit gekauft hatten, damit ich mir hoch oben in New England keine Lungenentzündung holte.
Sie erzählte mir, während wir erst mit der Green Line fuhren und dann mit der Red Line zum Harvard Square, was sie im Lauf der Woche erlebt hatte. Es hatte einen überraschenden Schneesturm gegeben, dessen verschmutzte Spuren immer noch rings um uns waren, und in dem Restaurant, in dem sie abends gelegentlich bediente, hatte man ihr, weil sie die einzige College-Studentin war, die Aufgabe erteilt, im Souterrain Zahlen zu addieren, während die anderen Kellnerinnen das ganze Trinkgeld einsteckten. Sie war so wütend darüber, dass ihr fast die Tränen kamen. Ich erzählte ihr, was ich von meiner Woche in Pennsylvania in Erinnerung hatte; fast alles war schon verblasst, bis auf das Detail, das wie ein funkelnder Splitter in meinem Gedächtnis stak – die Tränen meines Vaters. Meine eigenen Augen juckten und brannten nach einem Tag des Lesens im ruckelnden Zug; ich hatte von meinem Buch nur aufgesehen, um über den leuchtenden Ozean zu staunen, als der Zug bei New London ein Stück am Meer entlangfuhr.
In den Jahren, als wir frisch verheiratet waren und noch keine Kinder hatten, verbrachten Deb und ich je einen Sommermonat mit ihren und mit meinen Eltern. Ihr Vater war ein vornehmer unitarischer Geistlicher, der in einem grauen neogotischen, für die Ewigkeit errichteten Gebäude nicht weit vom Washington University Campus predigte. Jedes Jahr im Juni verfrachtete er seine Familie aus dem geräumigen Backsteinpastorat am Lindell Boulevard in ein einsames Farmhaus in Vermont, das er in den dreißiger Jahren für fünfhundert Dollar gekauft hatte. In jenem Juni trafen Deb und ich dort ein, bevor die Gemeindepflichten ihres Vaters ihm und der übrigen Familie, einer Ehefrau und zwei weiteren Töchtern, erlaubten, da zu sein. Die kühle Abgeschiedenheit des Hauses, mit fließendem Kaltwasser, aber ohne Strom, hoch an einer kurvenreichen unbefestigten Straße, an der, eine halbe Meile entfernt, ein einziges anderes Haus zu sehen war, das ebenfalls von einem unitarischen Geistlichen bewohnt wurde, bestärkte mich in meinem Gefühl, dass ich, dank meiner frisch angetrauten Frau, in eine neue, gehobenere und weitläufigere Region aufgestiegen war.
Im einzigen Badezimmer, einem langen Raum, die verputzten Wände und der Holzfußboden kahl, geisterte ein kleiner, aber intensiver Regenbogen, der sich an den Wänden entlangbewegte, wenn die Sonnenstrahlen sich im Lauf des Tages in wechselndem Winkel in der facettierten Umrandung des Spiegels am Hausapothekenschränkchen brachen. Wenn wir uns die Mühe machten, auf dem Petroleumherd genügend Wasser für ein Bad bei helllichtem Tag zu erhitzen, leistete der prismatisch erzeugte Regenbogen den Badenden Gesellschaft; er bebte und hüpfte auf und nieder, wenn Schritte oder ein Luftzug das Haus erzittern ließen.Für mich war dieses arielhafte Phänomen das magische Kind unitarischer Kargheit, Symbol für die hochmütige Haltung, mit der man sich in ein primitives Farmhaus zurückzog zur Erholung vom wohlmöblierten urbanen Komfort. Aus meinem frisch angelegten Bildungsvorrat schöpfend, wusste ich, dass es mit Idealismus zu tun hatte, mit Emerson und Thoreau, mit Selbstsicherheit und damit, die Natur zu ihren eigenen erhabenen Bedingungen zu akzeptieren. In einem großen Seitenraum des Hauses, weit genug entfernt von der kargen Sphäre der Wärme, die der mit Holz geheizte Ofen schuf, gab es einen großen Webstuhl, der mit dem Haus gekauft worden war, eine obsolete Enzyklopädie und eine Gesamtausgabe alter, aber selten berührter Bände mit verblassten Rücken, auf denen stand:
Meisterwerke der Philosophie.
Als ich einen Präzedenzfall schuf und einen der Bände herunternahm, verursachte der fein gerippte Stoffeinband meinen Fingern ein unangenehmes Prickeln. Es war der Band, der Auszüge aus Emersons Essays enthielt. «Jeder Natursachverhalt ist ein Symbol für einen spirituellen Sachverhalt», las ich und «Alles ist aus demselben verborgenen Stoff gemacht» und «Jeder Held wird am Ende lästig» und «Wir haben jeder einen anderen Siedepunkt».
Deb nutzte diesen großen Raum und die von Rankgewächsen verschattete Steinveranda draußen, um ihre sorgfältigen Ölbilder und blassen Aquarelle zu malen. Wenn die Sonne schien und es zu mühsam war, Wasser für die Wanne im Kessel auf dem Petroleumherd heiß
Weitere Kostenlose Bücher