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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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zu machen, badeten wir im Gebirgsbach nicht weit vom Haus, in einem kleinen Stausee, den ihr Vater entworfen und angelegt hatte. Ich wollte sie mit meiner Brownie Hawkeye nackt photographieren, aber sie lehnte prüde ab. Eines Tages machte ichtrotzdem heimlich ein paar Schnappschüsse, von der alten Brücke aus, während sie mit juchzenden Schreien, die das Klicken des Verschlusses übertönten, sich ins eisige Wasser warf.
    Nach unseren retrospektiven Berechnungen war es in Vermont, bevor die anderen eintrafen, wo wir unser erstes Kind zeugten, unbeabsichtigt, aber ohne Bedauern. Dieses mikroskopische Ereignis tief im Innern meiner Braut verband sich in meinem Kopf mit dem kleinen Regenbogen unten an der Badezimmerwand, unserm Hauskobold der Lichtbrechung.

    Ihr Vater war, als er eintraf, ein Vater, wie ich ihn nicht gewohnt war.
Mein
Vater, der zwar genügend Lebenstauglichkeit besaß, spielte die Rolle eines Underdog, eines Mannes, dessen Alltag, in der Schule oder anderswo, von einer Patsche in die nächste führte. Das Auto sprang nicht an, die Schüler benahmen sich schlecht. Er brauchte als Stimulans Leute, die erbitternden Reibereien mit ihnen. Reverend Whitworth schätzte Vermont, weil es, verglichen mit St. Louis, fast menschenleer war. Er verließ seinen Hügel mehrere Wochen hintereinander nicht und ließ uns auf der sandigen Straße die zwei Meilen zur nächsten Siedlung fahren, wo der Lebensmittelladen, der Haushaltswarenladen und das Postamt alle im selben Gebäude untergebracht waren und der alleinige Inhaber auch das örtliche Sägewerk betrieb. Wir kamen mit Klatsch aus der Gegend und der Zeitung vom Vortag zurück, und mein Schwiegervater hörte sich mit schräggeneigtem Kopf unsere aufgeregten Geschichten aus der weiten Welt an, und sein zu einem Lächeln schiefgezogener Mundwinkel ließ uns vermuten, dass er kein einziges Wort hörte. Er hatte zu tun: er baute Steinmauern,verfeinerte die Technik seines Staudamms und hielt jeden Tag einen Mittagsschlaf, und während dieser ein, zwei Stunden hatten wir andern still zu sein.
    Er war ein gutaussehender Mann mit enganliegendem drahtig gelockten Haar, das grau wurde, aber darum nicht weniger dicht war, innerlich jedoch war er geschwächt vom Gelenkrheumatismus seiner Kindheit in Maine. Ländlicher Friede, die Stille des Waldes, das Schwanken und Flackern des Petroleumlichts, wenn Zugluft auf den glimmenden Docht traf oder wenn Lampen von Zimmer zu Zimmer getragen wurden – dies alles bildete sein Element, nicht Stadtgewühl und -gerempel . Während der Ferienmonate auf seinem Hügel bewegte er sich unter uns – seiner Frau, seinen drei Töchtern, seinem Schwiegersohn, der jüngferlichen Schwester seiner Frau – wie ein Planet, der ausgenommen ist vom Gesetz der gravitativen Anziehungskraft.
    Seine Interaktionen hatten meistens mit Spielen zu tun, die er methodisch anging und gewann – Familien-Croquet am Nachmittag, Familien-Hearts am Abend, in den ineinanderfließenden Auren des Holzfeuerofens und der Lampe auf dem Tisch. Es war eine besondere Lampe, die ihren Lichtschein verstärkte und weißer machte mittels eines konischen Glühstrumpfs, der so empfindlich war, dass er schon bei einem allzu achtlosen Niedersetzen des gläsernen Lampenfußes auf den Tisch zerbrechen konnte. Reverend Whitworth war demonstrativ behutsam bei allem, was seine Hände taten, und mich nervte das, mit dem unversöhnlichen Ressentiment der Jugend. Mich nervten seine peniblen Pfeifenrauchergesten, die Art, wie er den Tabak feststopfte und anzündete und paffte; mich nervten seine streng eingehaltenen Nachmittagsschläfchen, seine silberblauen Augen (dieDeb geerbt hatte), sein von keinen Zweifeln angekränkeltes Unitariertum. In meiner Gegend von Pennsylvania waren blaue Augen so selten, dass sie schon anormal waren – hellgelblichbräunlich, das war die verwegenste Abweichung einer Iris vom üblichen Braun, das die Einwanderer aus Wales und Süddeutschland ins Schuylkill Valley mitgebracht hatten.
    Was das Unitariertum anging – es schien so milchig, so selbstgefällig vage und sich nicht festlegend: eine unanfechtbare, laue Verwässerung der christlichen Religion, wie ich sie in ihrer lutherischen Ausprägung kennengelernt hatte – die ganze unwahrscheinliche, farbenprächtige, tröstliche Tapisserie mit der Inkarnation und den Heiligen Drei Königen, mit Weihnachtsliedern, Santa Claus, Adam und Eva, Nacktheit und dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, der

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