Die Tränen meines Vaters
aber er konnte nicht die Augen verschlossen haben vor meiner in Harvard entstandenen Neo-Orthodoxie mit ihrer Eliot’schen Unterströmung von Panik.
Meine Aufgabe im Haushalt in Vermont bestand darin, das Altpapier des Tages zu verbrennen, in einer Tonne oben auf der Anhöhe hinter dem Haus, nahe der Quelle, die uns mit kaltem Wasser versorgte. Man konnte zwanzig Meilen weit über das bewaldete Tal bis zum nächsten Bergrücken der Green Mountains schauen. Mit Reverend Whitworths Segen war ich aufgenommen worden in eine Welt weiter Ausblicke, eisiger Badevergnügen und einer New-England-Schweigsamkeit. Er war ein offenkundig guter Mann, der sich selbst mit einer Prise Maine-Salz nahm. Es ist leicht, Menschen in der Erinnerung zu lieben; schwierig ist es, sie zu lieben, wenn sie da sind, vor deinen Augen.
In Pennsylvania gab es andere Spannungen für Deb und mich. Wir hatten einen schlechten Start gehabt. Das erste Mal, als ich sie nach Hause mitnahm, um sie meinen Eltern vorzustellen, stiegen wir an der falschen Bahnstation aus. Wir hatten in Philadelphia eine Lokalbahn genommen. Eine ihrer Haltestellen war in einer hügeligen Fabrikstadt, sieben Meilen von Alton entfernt, auch am Schuylkill gelegen und um wenige Meilen näher bei dem Farmhaus, in das wir, auf Drängen meiner Mutter, nach dem Krieg gezogen waren. Wir gehörten zu einer Handvoll von Fahrgästen, die ausstiegen, und der Bahnsteig in seinem Tunnel aus Bäumen leerte sich rasch. Niemand war gekommen, uns abzuholen. Trotz der Übereinkunft, die in meinem eigenen Kopf glasklar war – ich wollte, dass meine Elternnicht unnötig Benzingeld ausgaben –, waren sie nach Alton gefahren.
Ich frage mich jetzt, wie wir in der Ära, bevor es Mobiltelephone gab, es schafften, in Verbindung zu kommen. Aber in derselben Ära gab es selbst auf kleinen Bahnstationen noch Personal; vielleicht telegraphierte der Stationsvorsteher die Nachricht von unserer misslichen Lage nach Alton und ließ meine Eltern in dem hallenden großen Bahnhof ausrufen. Oder vielleicht kamen sie mittels der mentalen Telegraphie, die in rückständigen Gegenden damals noch funktionierte, von ganz allein darauf, was zu tun war, als wir nicht ausstiegen, und fuhren einfach dorthin, wo wir waren. Ich war ein junger Bursche vom Land, und Deb, so sicher in ihrem Element in St. Louis oder Cambridge, wirkte in meinem Heimatrevier verloren. Ich versäumte es, sie vor unserer primitiven Art zu beschützen. Und ohne schuld zu sein, machte sie immer wieder etwas falsch.
Obgleich wir noch nicht verheiratet waren, hatte sie ein paar schmutzige Socken und Unterhosen von mir mitgewaschen und sie sauber in ihren Koffer gepackt. Als meine Mutter, hilfsbereit im Gästeschlafzimmer herumstehend, diese Verpflanzung bemerkte, ließ sie einem ihrer stummen Wutausbrüche seinen Lauf, einer erbarmungslosen Folge von Zorneswellen, die ihr ein heißes rotes V auf die Stirn brannten, zwischen die Brauen, und das kleine Sandsteinhaus oben und unten bis in alle Ecken füllten. Das Haus meiner Kindheit in der kleinen Stadt Olinger, eine kurze Straßenbahnfahrt von Alton entfernt, war ein langgestreckter schmaler Backsteinbau gewesen, mit einem großen Garten auf der Rückseite, sodass es Platz genug gab, wohin man sich flüchten konnte, wenn meine Mutter, in meines Vaterstoleranter Formulierung, «eine Atmosphäre schuf». Aber in dem neuen Haus konnte jeder hören, wie die andern sich nachts im Bett umdrehten, und selbst draußen, wo es von Insekten summte und von Unkraut schäumte, gab es kein Entkommen vor der psychologischen Hitze meiner Mutter. Ich war aufgewachsen mit ihren gekränkten Stimmungen, die für gewöhnlich von erwachsenen Konflikten außerhalb meiner Sicht- und Hörweite ausgelöst wurden. Sie konnte eine solche Stimmung tagelang durchhalten, bis ich, aus der Schule oder dem Haus eines Freundes heimkommend, die Wogen wundersam geglättet vorfand. Ihr Jähzorn gehörte zu meinem Heranwachsen wie die Schwüle von Pennsylvania und die Hitzeperioden, die alte Leute in ihren stickigen Reihenhäusern manchmal umbrachten und die Stahlschienen auf der Straße so weit ausdehnten, dass die Straßenbahnen entgleisten.
Flüsternd versuchte ich, Deb für dieses Klima um Verzeihung zu bitten, während die schlechte Laune meiner Mutter, die uns allen beim Abendessen die Zunge gelähmt hatte, immer noch aus ihrem Schlafzimmer nach unten ins Wohnzimmer ausstrahlte. Das Klicken ihres Türriegels hatte über uns
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