Die träumende Welt 01 - Der Traumstein
Er unterbrach sich und sah Gemma plötzlich stechend an.
»Was soll das heißen, du hast die Antwort gefunden?«
Das Buch war natürlich verschwunden, wie auch alles andere aus Shantis Stadt, und Gemma versuchte verzweifelt, sich an den genauen Wortlaut des Gelesenen zu erinnern. Eben noch waren die Worte durchaus klar gewesen und ihre Botschaft deutlich genug, doch die Schlussfolgerungen, zu denen sie sie geführt hatten, wirkten jetzt weit hergeholt, selbst für sie. Arden würde sie lächerlich finden.
»Das Buch, das ich gerade gelesen habe«, begann sie zögernd, »war Shantis Tagebuch.« Sie erläuterte, was sie über die Meyrkats und den Schaukelstein erfahren hatte, und gebrauchte dabei nach Möglichkeit die Formulierungen aus dem Buch.
»>Wenn der Wind umschlägt, am kürzesten aller Tage, werden sie dem Stein mein Lob singen.< Das stimmt genau mit dem überein, was die Meyrkats mir erzählt haben!« sagte sie aufgeregt. »>Wenn der eine sich bewegt, bewegt sich auch der andere - und damit der Lauf des Wassers.< Aber irgendetwas ist mit dem Zauber schiefgegangen, und deshalb ist der Fluss versiegt. Wir brauchen nichts weiter zu tun, als zu dem Stein zu gehen und ihn wiederherzustellen«, schloss sie triumphierend.
»Das ist alles?« stieß Arden hervor. Anfangs war er Gemmas Worten gegenüber sichtlich skeptisch gewesen, doch ihre Zuversicht und ihre Begeisterung hatten ihm ein wenig Hoffnung gegeben. Jetzt begann er wieder zu zweifeln, als ihm die Größe der Aufgabe bewusst wurde, die vor ihnen lag. Er rechnete einige Augenblicke nach, dann sank sein Mut vollkommen.
»Was ist?« wollte Gemma wissen, als sie sein niedergeschlagenes Gesicht bemerkte.
»Es ist hoffnungslos«, erwiderte er. »Bis zum kürzesten Tag sind es nur noch drei Tage - bis dahin können wir unmöglich zurück sein.«
»Nur noch drei Tage? Mehr nicht?« Gemma war am Boden zerstört. Es so weit geschafft und, wie sie fest glaubte, die Lösung zu ihrem Problem gefunden zu haben, nur um schließlich doch an schlichtem Zeitmangel zu scheitern, war allerhöchste Grausamkeit.
»Selbst mit frischen Pferden auf einer guten Straße würden wir mindestens zehn Tage zurück ins Tal brauchen«, fuhr Arden fort. »Und von dort aus ist es wenigstens noch ein scharfer Ritt von vier Tagen. Es hat nicht einmal Sinn, es zu versuchen. Selbst wenn wir keine vier Tage in dieser vermaledeiten Stadt vergeudet hätten ...«
»Aber das haben wir doch nicht!« unterbrach ihn Mallory, und die beiden anderen sahen sie an. »Wir haben dort überhaupt keine Zeit verbracht.«
»Red keinen Unsinn«, sagte Arden verdrossen.
»Es stimmt«, beharrte sie. »Seht euch doch um - alles ist genau, wie es war, als wir in die Stadt verschleppt wurden. Die Pferde sind weder weitergewandert noch unruhig geworden. Wären wir tatsächlich so lange fort gewesen, wäre das Feuer lange heruntergebrannt und das Wasser verkocht. Selbst die Kräuter sind noch frisch.« Sie zerrieb einige der Blätter zwischen den Fingern. »Hier, riech doch mal.«
»Mallory hat recht«, fügte Gemma hinzu, als sie sich an die Bewegungen der Pferde erinnerte, Augenblicke bevor die Stadt eingetroffen war. »In der Stadt mögen vier Tage vergangen sein, in unserer Welt war es nur ein Augenblick.« Eine neue Idee regte sich in ihrem Kopf, eine Idee, die sie gleichermaßen in Hochstimmung versetzte und erschreckte.
»Also schön!« erwiderte Arden verärgert. »Ganz, wie du willst. Damit bleiben uns aber trotzdem nur sieben Tage, und es ist immer noch hoffnungslos.«
»Vielleicht nicht«, sagte Gemma.
»Und wie, bitteschön, sollen wir in sieben Tagen dort hinkommen?« fragte er sie voller Sarkasmus.
»Ich kann fliegen«, meinte sie ganz sachlich.
»Nur das nicht!« rief Arden. »Nicht noch mehr Zauberei!«
»Nein, keine Zauberei«, widersprach sie ruhig. »Technik.« Sie hielt inne, dachte nach. »Ich habe oft genug einen Drachen steigen lassen, der groß genug für zwei Personen war, und ich bin sicher, dass wir einen für mich alleine bauen können.«
»Du bist verrückt«, stellte er trocken fest. »Vollkommen und absolut wahnsinnig.«
»Lass es mich doch wenigstens erklären«, flehte sie. »Ich weiß, wie man sie baut - Cai hat es mir gezeigt.«
»Mit wird allmählich schlecht, wenn ich den Namen nur höre«, murrte Arden, Gemma jedoch ignorierte den Einwurf.
»Aus Holz, Tuch und Seilen lässt sich eine Konstruktion bauen, die gleitet und sich steuern lässt. Wir sind hier so
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