Die träumende Welt 01 - Der Traumstein
ihr«, fuhr er die Straßenkinder an. »Und haltet die Klappe.«
Sie rannten sofort los, ihre Gesichter glühten vor Verschwiegenheit.
»Bald weiß sowieso jeder hier Bescheid«, meinte der Mann resigniert. »Komm also besser schnell rein.«
Rein?
Er drückte ein paar Felsen auf Seite, packte dann einen in den Felsen eingelassenen Eisenring. Als er daran zog, klappte eine Falltür auf und Gemma sah Stufen, die hinab in die Finsternis führten.
»Willkommen in den Tunneln, der Heimat der Kanalratten und anderen Leute - wie mir zum Beispiel.« Er ließ sich hinab und gab Gemma ein Zeichen, ihm zu folgen. Sie zögerte.
»Angst im Dunkeln, was?« Er grinste. »Möchtest du vielleicht lieber alleine den Weg nach draußen suchen?« Er verschwand im Dämmerlicht. Einen Augenblick später fügte Gemma sich in das Unvermeidliche und kroch hinein. Die Stufen waren schmal und steil. Vorsichtig kletterte sie hinunter, Hände und Füße sorgfältig platzierend. »Mach die Tür hinter dir zu«, riet ihr die Stimme des Mannes von unten. »Und quetsch dir nicht die Finger.« Sein kehliges Glucksen hallte überall, als sie den Stein herunterwuchtete. Als sie damit fertig war, umgab sie völlige Dunkelheit. »Immer weiter nach unten«, kam seine Anweisung. »Wenn du fällst, fang' ich dich auf.«
Dein Humor geht mir allmählich auf die Nerven, dachte Gemma, sagte aber nichts. Sie ging weiter, und endlich erreichte sie ebenen Boden.
»Bleib stehen. Ich zünde eine Fackel an.« Ein Klicken, ein Funke, und die ölige Flamme erwachte zum Leben. Gemma brauchte einen Augenblick, bis sich ihre Augen daran gewöhnt hatten, dann sah sie, dass sie in einem Tunnel standen, dessen Decke kaum höher war als ihr Kopf. Es war sehr kalt, und auf Wänden und Fußboden glitzerte Wasser. Ein Stück entfernt floh etwas vor dem Licht.
Ihr Begleiter musterte sie anerkennend.
»Mut hast du, das muss ich dir lassen«, meinte er und verschwand in dem dunklen Gang. Gemma eilte ihm hinterher, sie wollte die einzige Lichtquelle nicht verlieren. Der Boden unter ihren Füßen war eben, und der Tunnel verlief gerade. Sie passierte einige seitliche Abzweigungen, ihr Führer jedoch ging schnurstracks geradeaus, bis Gemma schließlich in der Ferne ein Licht entdeckte. Bald wurde ihr klar, dass es sich um eine Öllampe handelte, die über einer Tür hing.
Der Mann pochte mit einem komplizierten Klopfzeichen an die Tür, und ein Spion wurde aufgeklappt. Dann wurde die Tür geöffnet, und sie betraten einen bemerkenswert gemütlichen, von einer Lampe erhellten Raum, der mit Tischen, Stühlen und sogar einem Regal voller Bücher eingerichtet war. Auf dem Rost brannte ein Feuer, und der Boden war glatt und trocken. Nur ein Fenster gab es nicht. Als jemand die Tür hinter ihnen schloss, starrte Gemma auf den Mann, der sich von seinem Stuhl erhob und kam, um sie sich anzusehen. Es war Jordan.
Der Schwarze grinste sie an.
»So siehst du also in Wirklichkeit aus«, meinte er. »Pazia, wenn ich mich nicht irre. Ich vermute allerdings, das ist nicht dein richtiger Name.«
Gemma war sprachlos.
»Wie ich sehe, hast du Hewe schon kennengelernt«, fuhr Jordan fort. »Unser Türsteher heißt Paule, und meinen Namen kennst du ja bereits. Willst du uns deinen nicht auch verraten?«
»Gemma.«
»Ich wollte dich schon lange kennenlernen, Gemma. Du hast in unserer hübschen Stadt für ziemlich viel Aufregung gesorgt.«
»Wer bist du?« fragte Gemma leise. Sie war völlig verwirrt.
»Sagen wir, ich bin ... jemand, dem es ebensowenig wie dir gefällt, wie diese Stadt regiert wird. Ich nehme an, nach dem heutigen Morgen trifft das zu?«
»Das weißt du schon?« sagte sie überrascht.
Jordans Grinsen wurde breiter.
»Und was jetzt?« fragte Gemma. »Was wollt ihr mit mir anfangen?«
24 . KAPITEL
»Ich will mich nur unterhalten«, meinte Jordan zu ihr. »Informationen austauschen.«
»Und dann?«
»Und dann kannst du machen, was du willst. Hast du gedacht, wir wollten dich gegen deinen Willen festhalten?«
»Eure Haustür ist schließlich nicht gerade gewöhnlich«, erwiderte Gemma, die allmählich ihre Haltung wiedergewann. »Ich wusste nicht, was mich erwartet.«
Die Männer lachten. »Das beutet nicht, dass wir unzivilisiert sind«, sagte Jordan. »Möchtest du etwas Wein?«
»Wasser wäre mir lieber. Ich bin ganz ausgetrocknet«, antwortete sie.
Ihr Gastgeber ging und schenkte ihr aus einem Krug von einem der Tische ein. Gemma nahm das Glas und betrachtete es
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