Die träumende Welt 01 - Der Traumstein
scharfen Krallen und hingen locker vor dem Körper herab.
Als sie sich so wenige Schritte voneinander entfernt gegenüberstanden, sah Gemma, wie perfekt der Meyrkat seiner Umgebung angepasst war. Kein Wunder, dass man sie nie zu Gesicht bekommt, dachte sie.
Der Clan kann dich hören, Namenlose. Ox. Die Worte drängten sich ungefragt in Gemmas Verstand. Es entstand eine Pause, so als wartete man auf eine Antwort, dann fuhr die Stimme fort. Du störst unseren Bau. Die Jungen verstehen Namenlosigkeit nicht. Bist du Ard? Oder En? Ox.
Keine von beiden, dachte Gemma. Ich bin Gemma. Ox.
Der Meyrkat jaulte kurz auf. Gemma wusste, dass sie mit dem Tier sprach, doch was sie sagten, begriff sie nicht.
Ox ist ein Clan-Name. Ich trage ihn. Ox. Jetzt klang die Stimme ebenso empört wie verwirrt.
Gemma dämmerte es. Du heißt Ox? Mein Name ist Gemma, dachte sie bewusst, voller Verwunderung darüber, was sie hier tat. War das vielleicht tatsächlich Gedankenübertragung - wie zwischen einem Zauberer und seinem Vertrauten?
Der Meyrkat schien über ihre letzte Bemerkung nachzudenken.
Gemma, sagte er nach einer Weile. Das sind zwei Namen. Ox.
In meinem Clan ist es einer. Gemma, antwortete sie, und dachte daran, ihren eigenen Namen am Ende eines Satzes hinzuzufügen.
Das deutet auf mangelnde Kenntnis hin. Des eigenen Selbst. Ox, antwortete der Meyrkat.
Wieso? Das verstehe ich nicht. Gemma. Allmählich begriff sie, wie es funktionierte, und zweifelte auch nicht mehr an der Echtheit der Unterhaltung oder der Identität ihres Gesprächspartners. Offenbar erwartete man, dass nach jedem Satz der eigene Name angefügt wurde, vermutlich um den Sprechenden zu kennzeichnen, und die anfängliche Verwirrung war dadurch entstanden, dass sie sich nicht daran gehalten hatte. Außerdem wurde ihr allmählich auch klar, dass der Meyrkat nicht alle ihre Gedanken hören konnte. Es war möglich, einige auszusenden, während man andere für sich behalten konnte, sei es aus privaten Gründen oder weil sie unwichtig waren. Ein ungeheuer tröstlicher Gedanke.
Lange Namen, wenig Wissen. Ox. Die Stimme des Meyrkats klang jetzt geduldig, so als erklärte er etwas einem Kind. Gemma glaubte zu wissen, was er damit meinte.
Es ist der einzige Name, den ich habe. Gemma.
Nicht Ard? Ox.
Nein. Das ist Arden. Gemma. Sie zeigte auf den immer noch am Boden liegenden Mann und sah, dass die Augen des Meyrkats ihrer Bewegung folgten. Das könnte verwirrend werden, dachte sie für sich.
Ard-en. Ist er ohne Wärme? Ox.
Nein. Er lebt noch. Gemma, erwiderte sie in der Hoffnung, dass Ox das gemeint hatte. Sie kniete nieder und fühlte Ardens Puls. Er war ein wenig kräftiger geworden.
Gott-Himmel-Feuer-Stein ist verärgert. Hat ihn gebissen. Ox, meinte der Meyrkat.
Gemma nickte.
Kannst du ihm helfen, Ox? Gemma.
Ich werde den Clan fragen. Der Clan verfügt über großes Wisse«. Ox. Damit machte er kehrt, rannte los und verschwand bald in einem Gewirr aus Dornenbüschen. Die Trennung versetzte Gemma einen Stich. Der vertrauliche Kontakt hatte ihr Auftrieb und Nähe gegeben, mehr als ein einfaches Gespräch. Zum erstenmal in ihrem Leben wurde ihr klar, wieso Zauberer eine starke emotionale Bindung zu ihren Vertrauten hatten. Hoffentlich kam Ox bald zurück.
Als Arden die Augen öffnete, sah er als erstes die Reihe der Meyrkats, die nur drei Schritte von seinem Lager entfernt standen. Sie blickten in alle möglichen Richtungen, so dass er einige im Profil sah, einige von hinten, ihre kleinen, runden, abstehenden Ohren und ein paar spitze Nasen, die auf ihn gerichtet waren. Nachdem er erwacht war, drehten sie sich jedoch im Nu alle gleichzeitig zu ihm um, und er sah sich einem Dutzend glänzender, schwarzer Augen gegenüber. Die Gleichzeitigkeit ihrer Bewegungen gab Arden das seltsame Gefühl, er könnte vielleicht doch noch bewusstlos sein - und die Tiere Bilder aus einem Traum.
Dann schob sich Gemmas Gesicht in sein Blickfeld. Ihre Augen waren voller Hoffnung und Sorge.
»Geht es dir gut?« fragte sie ängstlich. Als er nicht antwortete, fügte sie hinzu: »Kannst du mich überhaupt hören?«
Er versuchte zu sprechen, konnte aber kaum seine Zunge bewegen. Nur ein schwaches Zischen entwich seinen Lippen, doch Gemma schien zu ahnen, was er meinte, und fing an zu lächeln.
»Kannst du dich bewegen?« fragte sie.
Arden versuchte es, doch sein Körper schien weit entfernt und taub, seine Glieder gehorchten ihm nicht. Das machte ihm Angst, was man seinen Augen
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