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Die Träumerin von Ostende

Die Träumerin von Ostende

Titel: Die Träumerin von Ostende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric-Emmanuel Schmitt
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lachte schallend.
    »Nein, aber das erinnert mich daran, dass Madame N’Da, eine meiner Kolleginnen im Rathaus, einen cremefarbenen Angorahund hat, in den sie total vernarrt ist.«
    Maurice wollte gerade schmunzeln, als er entsetzt feststellte, dass sein eigener Wagen – lang, hoch, solide und mit einer Karosserie von amerikanischen Ausmaßen – das Gesetz der Gegensätze aufs Schönste bestätigte. Er hätte nie vermutet, dass auch er mit der Wahl seines Wagens einen Komplex kompensierte.
    »Maurice, ist irgendetwas …?«
    »Nein, nein, alles in Ordnung. Wir haben uns ja ewig nicht mehr gesehen, immer nur telefoniert, wie geht es dir denn?«
    »Mir geht es bestens! Ich kann nicht klagen, mein Lieber!«
    »Hast du irgendwas mit deinen Haaren gemacht?«
    »Ach, nicht viel … Was hältst du davon? Findest du’s besser so?«
    »Ja«, entgegnete Maurice, ohne wirklich darüber nachzudenken.
    »Du hättest auch feststellen können, dass ich fünf Kilo abgenommen habe, aber das sieht ja kein Mensch.«
    »Richtig, ich habe mich schon gefragt, ob …«
    »Lügner! Jedenfalls bin ich um fünf Kilo Hirnmasse leichter und nicht um fünf Kilo Fett. Und diese fünf Kilo kann man nicht sehen, die kann man nur hören!«
    Sie lachte schallend.
    Maurice stimmte zwar nicht mit in ihr Lachen ein, betrachtete sie aber milde. Im Laufe der Zeit hatte sich Zuneigung mit Scharfblick gepaart: Er wusste, dass seine Cousine ein gänzlich anderer Mensch war als er, nicht sehr kultiviert und zu gesellig, dass sie üppige Mahlzeiten liebte, schmutzige Witze und fröhliche Gesellschaft, doch sah er ihr das nach; da sie der einzige Mensch war, den er liebte, hatte er beschlossen, sie einfach gernzuhaben, mit anderen Worten, sie so zu nehmen, wie sie war. Sogar das Mitleid, das er angesichts ihrer mit den Jahren nachlassenden Attraktivität empfand, ließ ihn nur noch nachsichtiger werden. Im Grunde war dieses Mitleid, das er Sylvie wegen ihres Aussehens entgegenbrachte, ein Ersatz für das Mitleid, das er sich selbst nicht zugestand.
     
    Nachdem sie Lyon und seine verschlungenen Autobahnkreuze hinter sich gelassen hatten, fuhren sie mehrere Stunden hintereinander her. Je südlicher sie kamen, umso spürbarer veränderte sich die Beschaffenheit der Hitze: Lastete sie im Lyoner Becken noch stickig und lähmend wie ein brennendes bleiernes Schild über den Sterblichen, wich sie, je weiter sie dem Lauf der Rhône folgten, nach und nach einem wohltuenden Wind und wurde, als sie die Ardèche erreichten, trocken und fast mineralisch.
    Am Nachmittag, sie hatten sich mehrmals verfahren, was Sylvies gute Laune nicht im Geringsten schmälerte, fanden sie schließlich den wilden, staubigen Weg, der sie zu dem Landhaus führte.
    Maurice bemerkte sofort, dass die Vorzüge dieses Platzes ihm auch zum Nachteil gereichen konnten: An einem felsigen Hang mit spärlichem, halb verdurstetem Strauchwerk lag das Haus aus Naturstein, so ockerfarben wie die Landschaft ringsum, kilometerweit vom nächsten Dorf und Hunderte Meter vom nächsten Nachbarn entfernt.
    »Ausgezeichnet«, rief er, bemüht um Sylvies Billigung, die nicht recht überzeugt schien, »der ideale Ort um auszuspannen!«
    Sie lächelte und beschloss, sich seiner Meinung anzuschließen.
    Als sie ihre Zimmer ausgesucht und ihre Sachen ausgepackt hatten – Bücher für Maurice –, vergewisserte sich Sylvie, dass Radio und Fernseher funktionierten, und schlug dann vor, sich im nächstgelegenen Supermarkt mit allem Nötigen zu versorgen.
    Maurice fuhr mit ihr, denn er wusste, dass seine Cousine gern zu viel und zu teuer einkaufte.
    Er schob den Einkaufswagen an Sylvies Seite durch die einzelnen Abteilungen. Sie plapperte vergnügt, hätte am liebsten alles gekauft, verglich die einzelnen Produkte mit denen bei sich zu Hause, schimpfte auf die Verkäufer. Als der gefährlichste Part erfolgreich absolviert war, nämlich Sylvie daran zu hindern, die gesamte Wurst- und Fleischwaren-Theke abzuräumen, gingen sie zurück zu den Kassen.
    »Warte einen Moment, ich hol mir nur schnell ein Buch!«, rief Sylvie.
    Maurice war irritiert, ließ sich aber nichts anmerken, er wollte sich die Ferien nicht verderben; dabei hätte er seine Cousine am liebsten umgebracht. Wie konnte man nur Bücher in einem Supermarkt kaufen! Hatte er je auch nur ein einziges Mal in seinem Leben ein Buch, ein einziges Buch, in einem Supermarkt erstanden? Ein Buch war etwas Heiliges, etwas Wertvolles, von dessen Existenz man

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