Die Traumfängerin - Roberts, N: Traumfängerin
an. „Erklären Sie mir das genauer.“
„Clarissa glaubt fest an das Schicksal und daran, dass es großes Unglück bringt, seiner Vorsehung entgehen zu wollen. Deshalb sagt sie niemandem die Zukunft voraus.“
„Aber Sie behaupten, sie könnte es.“
„Genau. Und sie hat beschlossen, es nicht zu tun. Ihre besondere Fähigkeit bedeutet für Clarissa gleichzeitig eine immense Verantwortung. Niemals würde sie ihr Wissen missbrauchen. Dann verzichtet sie lieber auf ihre Begabung.“
„Darauf verzichten?“, wiederholte er ungläubig und legte die Kugel zurück. „Sie meinen, es sei möglich, nur einen Teil der Fähigkeiten zu nutzen und den Rest einfach auszublenden?“
Ihre Finger hatten sich um das Glas gekrampft. A. J. nahm es in die andere Hand. „Bis zu einem gewissen Punkt ist das möglich, ja. Schließlich ist sie nur der Überbringer, der Vermittler – das Maß, in dem sie sich darauf einlässt, kann sie selbst beeinflussen.“
„Sie scheinen viel darüber zu wissen.“
Er war gerissen, äußerst gerissen. Unbefangen lächelte sie und straffte die Schultern. „Ich arbeite seit Jahren mit Clarissa zusammen und weiß natürlich einiges von ihr. Wenn Sie in den kommen den Mo na ten viel Zeit mit ihrverbringen, wird es Ihnen ähnlich gehen.“
David betrachtete sie, während er auf sie zutrat. „Darf ich?“, fragte er, dann nahm er ihr Glas und trank einen kleinen Schluck. Der Wein war wärmer geworden und schmeckte kräftiger. „Warum nur habe ich das Gefühl, dass Sie sich in diesem Raum unwohl fühlen? Oder liegt es an meiner Gegenwart?“
„Ihr Eindruck täuscht. Wenn Sie wollen, gibt Ihnen Clarissa sicherlich gern ein paar Tipps, wie Sie Ihre Sinne schärfen können.“
„Ihre Handflächen sind feucht.“ Mit zwei Fingern streifte er ihr Handgelenk. „Ihr Puls geht rasend schnell. Ich brauche keine Intuition, um das zu merken.“
A. J. zwang sich, ruhig zu bleiben. Äußerlich ungerührt hielt sie seinem Blick stand und hoffte, dass es ihr gelang, amüsiert zu wirken. „Vermutlich habe ich das Essen nicht vertragen.“
„Schon als wir uns das erste Mal begegnet sind, haben Sie unglaublich intensiv auf mich reagiert.“
Das erste Treffen hatte ihr eine schlaflose Nacht beschert. „Ich habe Ihnen erklärt …“
„Zu wenig Schlaf, zu viel Kaffee“, wiederholte er spöttisch. „Das habe ich schon damals nicht geglaubt. Vielleicht liegt es daran, dass auch mir unsere Begegnung nicht mehr aus dem Kopf gegangen ist.“
Sie durfte jetzt keine Schwäche zeigen. Mit aller Kraft versuchte A. J., kühl und ungerührt zu wirken. Doch sie konnte sich seinem tiefgründigen, ruhigen Blick und der Wirkung seiner Worte nicht entziehen. Mit hoch erhobenem Kopf nahm sie ihr Weinglas zurück und leerte es in einem Zug. Was als entspannte Geste gedacht war, entpuppte sich als Fehler, denn bei jedem Schluck dachte sie da ran,dass seine Lippen das Glas vor ihr berührt hatten. „Ich bin nicht Ihr Typ, David. Vergessen Sie das nicht.“ Ihre Stimme klang schneidend. Dennoch wurde ihr schnell klar, dass dies die falsche Taktik war.
„Was macht das schon?“, gab er zurück, während er langsam durch ihr Haar strich.
Als er näher kam, überlegte sie fieberhaft, wie sie reagieren sollte. Zwei Möglichkeiten boten sich. Entweder stieß sie ihn fort und rannte davon, oder sie begegnete seinem Annäherungsversuch mit Gleichgültigkeit. Es schien ihr lächerlich, vor ihm zu flüchten, deshalb ließ sie seine zärtliche Geste über sich ergehen. Das war ihr zweiter Fehler.
Denn David wusste, wie man Frauen umschmeichelte und verführte. Als er mit seinen Lippen sanft ihren Mund berührte, war es nur der Hauch eines Kusses. Gleichzeitig aber fuhr er mit der Hand in ihren Nacken und streichelte ihre Haut. A. J. umfasste ihr Weinglas fester, unfähig, sich zu bewegen. Wieder küsste er sie, ganz kurz – fast glaubte sie, es sich nur eingebildet zu haben – spürte sie, wie er mit seiner Zungenspitze ihre Lippen liebkoste. Sie wagte kaum zu atmen.
Unwillkürlich schloss sie die Augen, ihre Knie wurden weich. Ohne ein Wort verließ er ihre Lippen und wanderte mit zahllosen kleinen Küssen hinauf zu ihren Wangenknochen. Keiner von ihnen bemerkte, dass das leere Weinglas aus ihrer Hand glitt und lautlos auf dem weichen Teppich landete.
Schon im Büro war ihm aufgefallen, dass sie ihr Parfum äußerst dezent dosierte. Nur wer ihr sehr nahe kam, konnte ihren Duft wahrnehmen. Fast schien das Aroma
Weitere Kostenlose Bücher