Die Traumfängerin - Roberts, N: Traumfängerin
Team gebeten, deinen Wagen zurück in die Stadt zu bringen“, erklärte er dann, während er den Motor startete und vorsichtig den Weg hinunterfuhr, darauf bedacht, die tiefen Schlaglöcher zu vermeiden.
Eine Weile schwiegen sie. A. J. kuschelte sich in die weiche Decke und spürte, dass das Zittern nachließ.
„Warum hast du mir nie davon erzählt?“, fragte er schließ lich.
Statt einer Antwort atmete A. J. einmal tief durch. „Was hätte ich dir erzählen sollen?“, gab sie dann zurück.
„Die Tatsache, dass du die gleiche Gabe hast wie deine Mutter.“
Unter ihrer schützenden Decke machte A. J. sich ganz klein, bettete den Kopf in die Arme und begann leise zu weinen.
Wie, um Himmels willen, sollte er jetzt reagieren? Insgeheim verfluchte er sie und auch sich selbst, während er weiter durch den strömenden Regen fuhr und ihr gleichmäßiges Schluchzen hörte.
Als er sie kurz zuvor in dem Raum gesehen hatte, mühsam nach Luft ringend und leichenblass, hatte er den Schreck seines Lebens bekommen. Ihre Hände waren kalt und starr gewesen wie bei einem Toten. Was hatte sie nur gesehen? Was hatte sie derartig aus der Bahn geworfen?
Zugegeben, er hatte seine Zweifel, was die Aussagekraft von Labortests zum Thema Parapsychologie anging. Und auch mancher selbst ernannte Hellseher erschien ihm nicht sonderlich glaubwürdig. Doch er war absolut sicher, dass A. J. eine Erscheinung gehabt hatte, die niemand außer ihr hatte sehen können.
Aber wie sollte er sich jetzt verhalten?
A. J. konnte nicht aufhören zu weinen. Es gab keinen Grund, sich Vorwürfe zu machen; sie hatte immer gewusst, dass es eines Tages geschehen würde. Ganz gleich, wie vorsichtig sie war und wie sehr sie versuchte, ihre Hellsichtigkeit unter Kontrolle zu halten: Eines Tages musste sie sich verraten. Und heute war es passiert.
Irgendwann auf der endlos scheinenden Fahrt ließ der Regen nach und hörte schließlich auf. Die Sonne kämpfte sich durch den wolkenverhangenen Himmel und tauchte die Landschaft in ein milchiges Licht. Noch immer fest in die Decke gekuschelt, setzte A. J. sich aufrecht. „Entschuldige bitte.“
„Ich erwarte keine Entschuldigung, sondern eine Erklärung“, gab David zurück.
„Es gibt keine.“ Mit dem Handrücken wischte sie sich die Tränenspuren von den Wangen. „Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mich nach Hause bringen würdest.“
„Zuerst müssen wir uns aussprechen.“ Ernst sah er sie an. „Und das werden wir irgendwo tun, wo du mich nicht hinauswerfen kannst.“
Das Erlebte hatte sie so sehr erschöpft, dass sie nicht einmal mehr widersprechen konnte. Wortlos lehnte sie den Kopf an die kühle Scheibe und protestierte nicht einmal, als sie an der Abfahrt zu ihrer Wohnung vorbeifuhren.
Zielstrebig steuerte David den Wagen in die Berge,weit oberhalb der Stadt. Nach dem Regen war die Luft hier rein und klar, nur ein leichter Nebel hing über dem Tal. David bog von der Hauptstraße ab, fuhr einen schmalen Weg hinauf und hielt am Ende der Auffahrt vor einem kleinen, einsam gelegenen Haus mit großen Fenstern und hölzernen Fensterläden. In dem weiten Garten blühten die ersten Frühlingsblumen.
„Ich hatte vermutet, wir würden in der Stadt bleiben.“
„Das hatte ich eigentlich auch vor, aber ich habe das Bedürfnis, richtig tief durchzuatmen.“ Er zog ihre Handtasche und einen Aktenordner vom Rücksitz. A. J. wickelte sich aus der Decke und stieg aus. Wie selbstverständlich gingen sie auf die Eingangstür zu. David schloss auf und ließ sie eintreten.
Innen wirkte das Haus keineswegs so ländlich, wie A. J. vermutet hatte. An den Wänden hingen Gemälde, auf dem Holzboden lagen dicke, weiche Teppiche. Einige Stufen führten hinunter in den Wohnbereich.
Schweigend machte David im Kamin Feuer an. Innerhalb weniger Minuten loderte ein gemütliches Feuer auf. „Du willst bestimmt die nassen Sachen ausziehen“, schlug er vor. „Das Bad ist oben, am Ende des Ganges. An der Tür hängt ein Bademantel.“
A. J. zögerte. Bisher hatte ihr Selbstbewusstsein stets geholfen, David auf Abstand zu halten. Doch heute fühlte sie sich der Situation nicht gewachsen. Nervös fuhr sie sich mit der Zunge über ihre Lippen. „David, du musst das nicht …“
„Ich koche uns in der Zwischenzeit einen Kaffee.“ Ohne weiter auf sie einzugehen, verschwand er in der Küche.
Unschlüssig blieb sie stehen und schaute ins Kaminfeuer,in dem glänzendes Eichenholz knisternd Flammen schlug. Noch nie in
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