Die Traumjoblüge - warum Leidenschaft die Karriere killt
an besagter Studie dachten, dass Wettkämpfe die beste Methode wären, doch sie irrten sich, wie sich herausstellte. Stundenlanges Wälzen von Fachlektüre war nicht nur der ausschlaggebende Erfolgsfaktor, sondern der dominanteste, das heißt, er schlug alle anderen Faktoren um Längen. Die Wissenschaftler stellten fest, dass die Großmeister unter den Teilnehmern fünf Mal so viel Zeit, nämlich im Mittel 5 000 Stunden, mit dem Studium von Fachlektüre verbrachten als die durchschnittlich erfolgreichen Spieler, die es dementsprechend bei rund 1 000 Stunden beließen.
Wer sich dieses Forschungsergebnis einmal näher ansieht, dem wird schnell klar, wie wichtig die Theorie ist. Charness schlussfolgerte, dass »der Spieler Lektüre und damit auch Problemstellungen aussuchen kann, die ihn vor eine Herausforderung stellten«. Ein klarer Vorteil gegenüber den Schachturnieren, bei denen man entweder gegen einen erheblich besseren oder erheblich schlechteren Spieler antreten muss. In beiden Fällen trägt dies aber »nicht zu einer Verbesserung der Spielerleistung bei«. Außerdem gehört zu dieser leistungsorientierten Lerntechnik auch unmittelbares Feedback. Stößt man auf ein Schachproblem, lässt sich die Lösung meist sofort in einem Buch nachschlagen, oder aber der persönliche Trainer gibt Hilfestellung, was wohl bei den meisten Großmeistern der Fall ist. Der Norweger Magnus Carlsen – ein phänomenaler Schachspieler – zahlte Garry Kasparow stattliche 750 000 US-Dollar im Jahr, damit dieser sein relativ intuitives Spiel strategisch verbesserte.
Ist Ihnen aufgefallen, dass diese Erkenntnis sehr gut ergänzt, was wir bereits beim Thema Gitarrespielen entdeckt haben? Die leistungsorientierte Lerntechnik nach Art der Großmeister im Schach unterscheidet sich nicht wesentlich von Jordan Tices Art des Übens auf der Gitarre. Die Gemeinsamkeiten hier sind zum | 93 | einen die Konzentration auf Herausforderungen und zum anderen das unmittelbare Feedback. Und noch etwas: Sicherlich haben Sie bemerkt, dass meine Art, das Gitarrespielen zu erlernen, durchaus mit Schachturnieren zu vergleichen ist. Sie macht bestimmt jede Menge Spaß und ist aufregend, aber sie verbessert nicht zwangsläufig die Qualität des Spiels. Ich selbst habe stundenlang dieselben Lieder geübt, ganz zu schweigen davon, wie oft wir sie auf der Bühne gespielt haben. Nicht anders als die durchschnittlich guten Schachspieler habe auch ich mich damit begnügt, immer wieder dasselbe zu üben, während sich Jordan zur selben Zeit durch eine ganz andere Art des Übens zum Virtuosen auf der Gitarre weiterentwickelte.
Anfang der 1990er Jahre prägte Anders Ericsson, ein Kollege von Neil Charness, der ebenfalls an der State University Florida arbeitete, den Begriff der deliberate practice . Er bezeichnete damit »jegliche Aktivität, die üblicherweise von einem Lehrmeister entwickelt wurde und nur ein Ziel verfolgt: die Steigerung bestimmter Aspekte individueller Leistungen«. 31 Diese Definition entspricht dem, was wir zuvor »leistungsorientierte Lerntechnik« genannt haben, daher wollen wir auch im Folgenden bei dieser Bezeichnung bleiben. Wie Hunderte von nachfolgenden Studien gezeigt haben, stellt die leistungsorientierte Lerntechnik den Schlüssel für Spitzenleistungen in den unterschiedlichsten Bereichen dar wie Schach, Medizin, Rechnungswesen, Programmieren, Bridge, Physik, Sport, Maschineschreiben, Jonglieren, Tanz und Musik. 32 Wenn Sie sich dafür interessieren, wie Sportler Höchstleistungen erzielen, sollten Sie einmal einen Blick in deren Trainingsprogramm werfen. Fast ausnahmslos zielt dieses darauf ab, ihre sportlichen Leistungen täglich zu steigern, natürlich unter den Augen von erfahrenen Trainern, zumal das Training ja bereits im Kindesalter beginnt. Doch auch ein Autor wie Malcolm Gladwell würde auf entsprechende Nachfragen über seine Schreibkunst wohl auf die leistungsorientierte Lerntechnik verweisen. In Überflieger schreibt er, dass er seinen Schreibstil in den zehn Jahren als Lokalredakteur bei der Washington Post kontinuierlich verbesserte, dann zum New Yorker wechselte und sich erst dann an sein erstes Buch Tipping Point: | 94 | Wie kleine Dinge Großes bewirken können wagte.
»Wenn Profis ihr außerordentliches Können in der Öffentlichkeit zeigen, sieht das meistens so mühelos und natürlich aus, dass wir Normalsterblichen diese Leistungen ihrem außerordentlichen Talent zuschreiben«, schreibt Ericsson. »Doch als
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