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Die Traumjoblüge - warum Leidenschaft die Karriere killt

Die Traumjoblüge - warum Leidenschaft die Karriere killt

Titel: Die Traumjoblüge - warum Leidenschaft die Karriere killt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Campus
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unserer Schule unter mäßigem Beifall gaben. Anschließend nahm ich mein Hobby noch ernster und nahm während meiner gesamten Zeit an der Junior Highschool und der Highschool Unterricht. Ich übte jeden Tag stundenlang – von Blues bis zu Songs von Jimmy Hendrix. Meine | 86 | Band, die den merkwürdigen Namen Rocking Chair (auf deutsch: Schaukelstuhl) trug, hatte etwa ein Dutzend Auftritte im Jahr: auf Festivals, Partys und Wettbewerben. Wir waren nicht weiter wählerisch, was den Veranstaltungsort anbelangte, sondern spielten, wo immer man uns erlaubte, unsere Instrumente aufzubauen. Einmal hatten wir sogar einen Gig in einem Friedhof, mit Blick auf einen Parkplatz. Die Mutter unseres Schlagzeugers hat das Ganze mit ihrer Videokamera gefilmt. Bei dem Schwenk von uns vor den Gräbern auf den Parkplatz kommen auch unsere Fans ins Bild: kaum mehr als ein Dutzend, die es sich auf Klappstühlen gemütlich machten. Sie liebt es noch immer, dieses Video allen möglichen Leuten zu zeigen.
    Als ich von der Highschool abging, beherrschte ich ein Repertoire von rund 100 Stücken von Green Day bis zu Pink Floyd. Anders ausgedrückt, ich war so gut, wie man es von jemandem, der dieses Hobby die letzten sechs Jahre ernst genommen hat, erwarten kann. Das Faszinierende daran ist jedoch: Im Vergleich mit Jordan Tice war ich allenfalls ein mittelmäßiger Spieler.
    Jordan fing im selben Alter wie ich mit dem Gitarrespielen an. Doch als er die Highschool abschloss, hatte er bereits eine Tournee mit Bluegrass-Musikern quer durch die Mittelatlantikstaaten der USA hinter sich und seinen ersten Plattenvertrag in der Tasche. Mir drängt sich die Frage auf, weshalb ich als durchschnittlicher Spieler endete und Jordan als Star, obwohl wir beide dieses Hobby etwa über die gleiche Zeit gleich ernst genommen hatten.
    Schon kurze Zeit, nachdem ich Jordan kennen gelernt hatte, war mir die Antwort auf diese Frage klar. Unsere unterschiedlichen Fertigkeiten im Alter von 18 Jahren hatten weniger mit der Anzahl der Stunden zu tun, die wir täglich übten – obgleich Jordan bestimmt etwas öfter geübt hat als ich –, sondern damit, was wir aus unseren Übungsstunden machten. Ich kann mich zum Beispiel noch sehr gut daran erinnern, wie unbehaglich ich mich fühlte, wenn unsere Band ein Stück zum Besten gab, das ich nicht wirklich beherrschte. Bei jeder Melodie, die ich nicht auswendig spielen konnte, spürte ich, wie sehr mich das belastete. Ich hasste dieses Gefühl. Bei manchen Stücken tat ich mich wirklich schwer, | 87 | doch sobald ich mich durchs Einüben gequält hatte, wollte ich nichts anderes mehr spielen. Ich regte mich immer ziemlich auf, wenn unser Rhythmusgitarrist bei den Proben vorschlug, doch mal einen anderen Song einzuüben. Ihm genügte es vollkommen, einen kurzen Blick auf die Noten zu werfen und loszulegen. Mir nicht. Selbst mit so wenig Lebenserfahrung, wie ich sie damals hatte, spürte ich deutlich, dass mein Unbehagen über mangelnde Übung mich in unserer leistungsorientierten Welt ziemlich ausbremste.
    Und jetzt sehen wir uns mal Jordans erste Erfahrungen mit der Gitarre an. Sein erster Lehrer war ein guter Bekannter aus der Kirchengemeinde seiner Eltern. Jordan erinnerte sich noch sehr gut daran, dass sie sich in ihren ersten Übungsstunden immer ein paar Takte aus den Platten der Allman Brothers herausgesucht hatten. »Er hat also die Noten des jeweiliges Stücks aufgeschrieben, und du hast das dann auswendig gelernt?«, fragte ich Jordan. »Nein, nein«, lautete seine Antwort. »Wir haben uns ein Lied angehört und eine bestimmte Stelle daraus einfach nachgespielt.« Selbst nach jahrelanger Übung wäre diese Vorgehensweise nichts für mich gewesen, denn das hätte mich ziemlich gestresst, und ich bezweifle auch, dass ich die erforderliche Geduld aufgebracht hätte. Doch Jordan gefiel diese Art von Unterricht. Während unseres Gesprächs, das rund zehn Jahre nach seiner Zeit in der Highschool stattfand, schnappte er sich mit einem Mal seine Gitarre – eine alte Martin – und spielte mir das Solo aus »Jessica« vor, an das er sich irgendwie noch erinnerte. »Eine tolle Melodie«, sagte er.
    Jordan lernte in seinen Übungsstunden nicht nur, seine Grenzen immer weiter zu verschieben, sondern er bekam auch sofortiges Feedback. Sein Lehrer war immer bereit »einzuspringen und mir zu zeigen, wie es richtig geht, wenn ich eine Stelle vermasselt hatte«.
    Als ich mir ansah, wie Jordan mittlerweile übte, musste ich

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