Die Traumjoblüge - warum Leidenschaft die Karriere killt
gemacht und fast zwei Dutzend Fachartikel veröffentlicht. Ich hielt in der ganzen Welt, von Rio über Bologna bis Zürich, Vorträge über meine Arbeit. Anders ausgedrückt, ich verfügte über einen ordentlichen Batzen Karrierekapital, was es mir ermöglichte, auf meine Fähigkeiten zugeschnittene potenzielle Missionen zu erkennen. Ich verfügte sogar über Notizen, da ich ständig ein Notebook mit mir herumschleppe, mit dem ich meine Gedankengänge festhalten und später strukturieren konnte. Am 13. März 2011 trug ich zum Beispiel ein, dass ich meine Arbeit auf eine neue Art von verteilter Algorithmentheorie fokussieren wollte – die Erforschung von Algorithmen in Kommunikationsgrafen mit unbeschränkten Topologieänderungen. Mir bot sich die Möglichkeit, eine ähnliche Vorreiterrolle bei der weiteren Entwicklung dieser Theorie zu übernehmen, wie es damals in den 1980er Jahren die ersten Vertreter der Chaostheorie getan haben. | 164 |
Und damit wäre ich wieder bei meiner mich quälenden Frage angelangt. Ich besaß unzählige Notizen über potenzielle Missionen, aber bislang wollte oder konnte ich mich nicht festlegen. Und mit dieser Zögerlichkeit stehe ich nicht alleine da. Viele Leute verfügen über jede Menge Karrierekapital und könnten sich somit durchaus eine Mission auswählen, aber nur wenigen gelingt es tatsächlich, ihre Karriere an einer Mission auszurichten. Anscheinend genügt es nicht, sich zu dem Besten seines Fachs zu entwickeln. Selbst jede Menge Karrierekapital hilft einem nicht bei der Frage, wie man eine Mission leben kann. Wer nicht über eine bewährte Strategie verfügt, wie sich der Sprung von der Theorie in die Praxis bewältigen lässt, wird erst gar nicht springen.
In diesem und dem nächsten Kapitel gehe ich der Frage auf den Grund, wie Erfolgsmenschen diesen Sprung dann doch geschafft haben. Mein Ziel dabei ist es, eine Strategie entwickeln zu können, mit deren Hilfe man seine Mission leben kann. Und jetzt möchte ich Ihnen einen jungen Archäologen aus einer Kleinstadt im Südosten von Texas vorstellen: Ihm ist es gelungen, eine gewagte Mission in einem Fachgebiet umzusetzen, das nicht gerade für seinen Pioniergeist bekannt ist. | 165 |
American Treasures
Das erste Mal sah ich Kirk French in einer Sendung auf dem Disney Channel . In der Werbepause sah ich einen Trailer für das neueste Sendeformat des Senders – American Treasures –, in dem zwei junge Archäologen in Jeans und abgetragenen T-Shirts zu sehen waren, die in einem alten Ford F-150 quer durchs Hinterland fuhren, um die historische Bedeutung alter Familienerbstücke zu bestimmen. Die jungen Männer wurden als Kirk French und Jason De León vorgestellt, zwei gut gelaunte Kerle, denen ihr Job einen Heidenspaß zu machen schien. Das Format der Sendung erinnerte an Antiques Roadshow , was am ehesten der deutschen Serie Kunst und Krempel entspricht, doch in American Treasures wurde wesentlich mehr gesoffen und geflucht. Augenblicklich programmierte ich die Aufnahme dieser Sendung – der Premiere.
Zu Beginn ihrer ersten Sendung fanden sich Kirk und Jason auf einem einsamen Gehöft am Ende einer heruntergekommenen Schotterpiste im Flachland im Osten von Texas wieder. Sie waren dort gelandet, weil sie die Echtheit eines Anzugs prüfen wollten, der angeblich Clyde Barrow vom berühmt-berüchtigten Gangsterpärchen Bonnie und Clyde gehörte. Die beiden Archäologen brauchten keine zehn Sekunden, um diese Behauptung als Unsinn abzutun. Schließlich gibt es keine Kleidungsstücke aus dieser Epoche mit dem Etikett »Made in China«. Ihrer Begeisterung tat das allerdings keinen Abbruch.
»Du stammst aus einer Schwarzbrenner-Familie, oder?«, grinste French.
»Hm«, brummte Leslie, der Besitzer besagten Anzugs, bestätigend.
»Na, dann wollen wir deinen Schnaps doch mal probieren!«
Kurze Zeit später stand ein bis oben hin gefüllter Glaskrug auf dem Tisch. Während Leslie drei Gläser bis zum Rand füllte, warnte er die beiden: »Fragt mich bloß nicht, was da drin ist. Dann würdet ihr es mit Sicherheit nicht trinken.« Kirk und Jason machten es sich auf einem Baumstamm gemütlich, so gut es eben | 166 | ging, erzählten sich gegenseitig ihr Leben und kippten ein Glas nach dem anderen. Sie schienen jede Menge Spaß zu haben.
Ich saß wie gebannt vor dem Bildschirm. American Treasures war anders als die zahlreichen ähnlichen Sendeformate. Zugegeben, ich fand ihren Titel grauenhaft – und wie mir Kirk später
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