Die Traumjoblüge - warum Leidenschaft die Karriere killt
der Musik zu vereinen. Und das schaffte er auch, und zwar mit Archaeopteryx, einem Open-Source-Programm, das eigene Dance Music schreiben und abspielen kann – künstliche Intelligenz in Reinform. Irgendwie ist es eine fast schon gruselige Erfahrung, wenn man einen harmlosen Befehl in seinen Mac eingibt, und Bruchteile von Sekunden später ertönt ein aggressiver, komplizierter Techno-Beat aus den Lautsprechern. Wird nur ein einziger Wert der Bayes’schen Wahrscheinlichkeitsmatrix, auf der diese Form der künstlichen Intelligenz basiert, geändert, ertönt mit einem Mal ein ganz anderer Klang. Man könnte fast meinen, musikalische Genialität ließe sich auf ein paar mathematische Berechnungen und ein paar Codes reduzieren. Dieses Meisterwerk | 178 | machte Giles zum Star.
Doch auch im Fall von Giles interessierte mich brennend die Frage, wie er den Sprung von einer allgemein gefassten Mission – Kunst und Ruby zu vereinen – zu einem einzigartigen Projekt geschafft hat, das ihn obendrein noch bekannt gemacht hat: Archaeopteryx. Im letzten Kapitel habe erläutert, wie wichtig es ist, in kleinen Schritten vorzugehen. Im Fall von Giles ist mir aufgefallen, dass noch etwas dazukommt: Als er auf der Suche nach geeigneten Projekten war, um seine Mission erfüllen zu können, ging er wie ein Marketingexperte vor, der zunächst haufenweise Bücher darüber verschlingt, weshalb manche Ideen zünden und manche im Sand verlaufen. Seine marketingorientierte Vorgehensweise empfiehlt sich für jeden, der eine Mission zum Teil der Traumjobsuche machen will.
Wie man zum Top-Programmierer wird
Giles’ letztlich dann doch erfolgreiche Karriere begann, als er nach nur einem Jahr das College-Studium abbrach. Er versuchte sich daraufhin als Drehbuchautor, »aber meine Scripts waren öde«, dann probierte er es mit Musik, »was mir besser gelang, aber zum Leben auch nicht reichte«. Zwischendurch verdingte er sich immer wieder als Aushilfskraft in den unterschiedlichsten Unternehmen. Da Giles künstlerisch begabt war, zog es ihn dann immer in die Grafikabteilung, wo man ihm eine Auszeichnungssprache beibrachte, die die Welt der Grafik für immer verändern sollte – HTML. Giles gestaltete seine erste Webseite 1994, zwei Jahre später zog er nach San Francisco, wo er zahlreiche Bücher über die Programmiersprachen Java und Perl wälzte, denn in den Anfängen des Internets gab es kaum andere. 1994 verdiente er 30 000 US-Dollar im Jahr, 1996 bereits gut das Dreifache. Der Dotcom-Boom zeichnete sich bereits am Horizont ab, und Giles war zur richtigen Zeit am richtigen Ort und verfügte über die richtigen Fähigkeiten.
| 179 | Zunächst lief für Giles alles gut in San Francisco. Ihm machte es Spaß, Webseiten zu entwerfen, und in seiner Freizeit arbeitete er gelegentlich als DJ. Doch Karrieren nehmen mitunter einen ganz anderen Verlauf, als gedacht, weshalb er kurze Zeit später als Programmierer für eine Investmentbank arbeitete. »Ich langweilte mich dort fast zu Tode«, erinnerte er sich. »Deshalb wollte ich mich beruflich verändern und bewarb mich bei einem Start-up-Unternehmen.« Einen Tag, nachdem er seine Bewerbung abgegeben hatte, war das Unternehmen pleite. Die Dotcom-Blase war am Platzen. »Nicht lange, und ich war der Einzige in meinem Freundeskreis, der überhaupt Arbeit hatte. Ich wandte mich an eine Personalagentur, aber dort hieß es, ich könne mich glücklich schätzen, überhaupt einen Job zu haben.«
Doch Giles konnte nicht aus seiner Haut, weshalb er den Rat der Agentur in den Wind schlug, kündigte und wieder zurück nach Santa Fe zog. Er wohnte in einem geliehenen Wohnwagen, den er am Grundstück seiner Eltern abstellte, half ihnen dabei, ein Solarhaus zu bauen, und belegte mehrere Kurse in Kunst, Stimmausbildung, Klavier und den für seine weitere Karriere wohl entscheidendsten am College vor Ort: Studiotechnik. In diesem Kurs wurden ihm die Grundlagen der sogenannten Zufallsmusik – Kompositionen mithilfe von Algorithmen – vermittelt. Und genau an diesem Ort, mitten in einem Wüstenstaat, traf Giles die richtige Entscheidung, denn er hatte für sich herausgefunden, dass seine ungeplante Karriere fast schon ein Eigenleben entwickelt und ihn in mehr oder weniger missliche Lagen gebracht hatte, darunter sein sterbenslangweiliger Job als Programmierer in einer Bank. Eine Mission musste her, um seine Karriere in geordnete Bahnen, in seinem Fall waren es eher Spaßzonen, zu lenken, oder er würde immer
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