Die Treibjagd
wäre dieselbe bereits todt. »Du wirst reichere, welterfahrenere Frauen finden können, ein solches Herz aber niemals.«
Und da sie innehielt und sich die Augen trocknete, als suchte sie nach einem Uebergange, fragte Saccard kurz:
»Du hast mir etwas zu sagen?«
»Ja, ich habe mich mit Dir beschäftigt, in der bewußten Angelegenheit, und glaube auch gefunden zu haben ... Doch in einem solchen Augenblick ... mir bricht's das Herz.«
Wieder wischte sie sich die Augen und Saccard ließ sie ruhig gewähren, ohne etwas zu sagen. Darauf fuhr sie fort:
»Es handelt sich um ein junges Mädchen, welches man auf der Stelle zu verheirathen wünscht. Das arme Kind ist von einem Unglück betroffen worden; doch ist eine Tante da, die gerne ein Opfer bringen möchte ...«
Sie brach abermals ab, greinend, winselnd, als beweinte sie noch immer die arme Angèle. Sie wollte damit ihren Bruder ungeduldig machen und ihn drängen, Fragen an sie zu richten, damit nicht die volle Verantwortlichkeit des Vorschlages, welchen sie ihm machen wollte, auf ihr laste. In der That wurde Aristide von dumpfem Zorn erfaßt.
»So komm doch zur Sache!« sagte er. »Weshalb will man dieses junge Mädchen verheirathen?«
»Sie kam gerade aus der Pension,« nahm die Maklerin kläglichen Tones von Neuem auf; »ein Mann stürzte sie ins Verderben, als sie bei einer Freundin auf dem Lande zu Besuch war. Erst vor Kurzem machte der Vater die Entdeckung des Unglückes, welches seine Tochter betroffen. Er wollte sie tödten. Um das arme Kind zu retten, machte sich die Tante zur Mitschuldigen und zu zweien erzählten sie dem Vater eine Geschichte, indem sie ihm sagten, der Verführer sei ein rechtschaffener Junge, der nichts sehnlicher wünscht, als seinen Fehler gutzumachen.«
»So wird der Mann das Mädchen heirathen?« fragte Saccard überrascht und gleichsam enttäuscht.
»Nein; das kann er nicht, da er verheirathet ist.«
Eine Pause trat ein. Schmerzlicher als vorhin klang das Röcheln Angèlens durch den Raum. Die kleine Klotilde hatte aufgehört zu spielen und blickte Frau Sidonie und ihren Vater mit den großen, nachdenklichen Kinderaugen an, als hätte sie die Worte verstanden, welche da gewechselt wurden. Nun begann Saccard einige kurze Fragen zu stellen:
»Wie alt ist das Mädchen?«
»Neunzehn Jahre.«
»Seit wann ist sie schwanger?«
»Seit drei Monaten. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird eine Frühgeburt erfolgen.«
»Und ist die Familie reich und rechtschaffen?«
»Uralte Bourgeoisie; der Vater war Richter gewesen; Vermögen sehr bedeutend.«
»Wie hoch würde sich das Opfer der Tante belaufen?«
»Auf hunderttausend Francs.«
Abermals trat eine Pause ein. Frau Sidonie greinte nicht mehr; sie war wieder Geschäftsfrau geworden und ihre Stimme hatte den Mollklang einer Verkäuferin, die über einen Handel spricht. Ihr Bruder blickte zur Seite und fügte einigermaßen zögernd hinzu:
»Und was verlangst Du für Dich?«
»Das werden wir später sehen,« erwiderte sie. »Auch Du wirst mir einen Dienst erweisen.«
Sie wartete noch einige Sekunden und da er noch immer schwieg, fragte sie rund heraus:
»Was beschließest Du also? Die armen Frauen sind ganz verzweifelt und wollen um jeden Preis einen Skandal vermeiden. Sie sind entschlossen, dem Vater morgen den Namen des Schuldigen preiszugeben. .. Wenn Du einwilligst, werde ich ihnen durch einen Dienstmann Deine Visitenkarte schicken.«
Saccard schien aus einem Traume zu erwachen. Er zuckte zusammen und wendete sich scheu dem Nebengemach zu, von wo er ein leises Geräusch zu vernehmen geglaubt.
»Aber ich kann ja nicht,« sprach er angstvoll; »Du weißt, daß ich nicht kann ...«
Frau Sidonie blickte ihn fest, mit kalter, verächtlicher Miene an. Das Blut der Rougon, sein brennender Golddurst drang ihm wieder zu Kopfe. Er entnahm seiner Brieftasche eine Visitenkarte und reichte sie seiner Schwester, die dieselbe in einen Umschlag steckte, nachdem sie die Adresse sorgfältig weggekratzt hatte. Darauf eilte sie davon. Es war kaum neun Uhr Abends.
Allein geblieben, lehnte Saccard die Stirne an die kalten Fensterscheiben. Er vergaß sich so weit, daß er mit den Fingern auf der Fensterscheibe zu trommeln begann. Doch war die Nacht so dunkel, die Schatten ballten sich draußen zu so absonderlichen Massen zusammen, daß er ein leises Unbehagen empfindend, in das Gemach zurückkehrte, in welchem Angèle in den letzten Zügen lag. Er hatte sie ganz vergessen und ward von einer
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