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Die Treibjagd

Die Treibjagd

Titel: Die Treibjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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dreitausend Francs vorzustrecken bereit wäre, doch nur gegen sichere Bürgschaft und hohe Zinsen. Aber auch delikatere Dinge waren ihr bekannt; so der Kummer einer schönen blonden Dame, die von ihrem Gatten nicht verstanden wurde und die sich darnach sehnte, verstanden zu werden; die geheimen Wünsche einer guten Mutter, die ihre Tochter gerne vortheilhaft untergebracht sehen wollte; die Geschmacksrichtung eines reichen Barons, der eine Vorliebe für kleine Soupers und sehr junge Mädchen hatte. Mit einem matten Lächeln setzte Frau Sidonie diese Gesuche und Angebote in Verkehr, legte zwei Meilen zurück, um die Leute einander näherzubringen; sie schickte den reichen Baron zu der guten Mutter, veranlaßte den alten Herrn, der bedrängten Familie die dreitausend Francs vorzustrecken, fand einen Tröster für die blonde Dame und einen wenig skrupulösen Gatten für die heirathsbedürftige Tochter. Dann aber hatte sie auch große Angelegenheiten, die sie offen eingestand und mit welchen sie den Leuten den Kopf voll schwatzte, wenn ihr dies von Vortheil schien: einen langwierigen Prozeß, mit welchem eine zu Grunde gerichtete vornehme Familie sie betraut hatte und eine Schuld, welche England noch aus den Zeiten der Stuarts an Frankreich zu entrichten hatte und die sich die aufgelaufenen Zinsen mitinbegriffen, auf drei Milliarden belief. Diese Schuld von drei Milliarden bildete ihr Steckenpferd; sie erläuterte die Sache mit einer Fülle von Einzelheiten, wobei sie einen ganzen Lehrgang der Geschichte vortrug und die Röthe der Begeisterung färbte dann ihre sonst wachsbleichen Wangen. Auf dem Gange zum Gerichtsvollzieher oder zu einer Freundin verkaufte sie zuweilen einen Kautschuckmantel, eine Kaffeemaschine, brachte sie ein Stück Spitze unter oder sie vermiethete ein Piano. Dies aber bildete ihre geringsten Sorgen. Darauf eilte sie rasch in ihre Niederlassung zurück, da eine Klientin versprochen, sich dort wegen Besichtigung eines Stückes Seidenspitze einzufinden. Die Klientin langte tatsächlich an und glitt wie ein Schatten in den schweigsamen, verhängten Laden. Und es war nichts Seltenes, daß zur selben Zeit ein Herr durch das Thor der Rue Papillon eintrat, um im Halbgeschoß die Klaviere der Frau Touche zu besichtigen.
    Wenn sich Frau Sidonie kein Vermögen erwarb, so lag der Grund darin, daß sie häufig aus reiner Liebe zur Kunst arbeitete. Sie war eine Freundin der Prozesse, vergaß an die eigenen Angelegenheiten für die anderer Leute und ließ sich von den Gerichtsvollziehern aussaugen, was ihr übrigens einen förmlichen Genuß bereitete, den nur solche Leute zu würdigen wissen, die selbst Prozesse zu führen gewohnt sind. Von der Frau war in ihr keine Spur mehr vorhanden; sie war nichts weiter mehr als ein Geschäftsvermittler, eine Maklerin, die man zu jeder Tageszeit auf der Straße antreffen konnte und die in ihrem aller Welt bekannten Korbe die zweideutigste Waare mit sich führte, Alles kaufte und verkaufte, von Milliarden träumte und für eine begünstigte Klientin beim Friedensrichter um einen Nachlaß von zehn Francs bettelte. Klein, mager, blaß, in ihrem ewigen schwarzen Kleide steckend, war sie gänzlich zusammengeschrumpft und wenn man sie längs der Häuser dahineilen sah, hätte man sie für einen als Mädchen verkleideten Laufburschen angesehen. Ihr Gesicht hatte die fahle Farbe des gestempelten Papiers angenommen. Um ihre Lippen spielte ein mattes Lächeln, während ihre Augen in dem Gewirr der Geschäfte und Unterhandlungen aller Art verloren schienen, von welchen sie in Anspruch genommen war. Von bescheidenem, schüchternem Benehmen, roch sie nach dem Beichtstuhle und der Hebammenstube zugleich; sie gab sich sanft und mütterlich wie eine Nonne, die auf alle irdischen Neigungen Verzicht geleistet hat, doch Mitleid für die Leiden des Herzens empfindet. Sie sprach niemals von ihrem Gatten, so wenig wie von ihrer Kindheit, ihrer Familie, ihren Interessen. Einen Gegenstand gab es indessen, den sie nicht verkaufte und das war sie selbst; nicht etwa, als hätte sie sich darob Skrupel gemacht, sondern weil ihr der Gedanke an einen solchen Handel gar nicht kommen konnte. Sie war trocken wie eine Advokatenrechnung, kalt wie ein Wechselprotest, gleichmüthig und brutal wie ein Gerichtsdiener.
    Saccard, der frisch aus seiner Provinz angelangt war, vermochte sich für's Erste nicht in die unergründlichen Tiefen der zahlreichen Geschäfte seiner Schwester zu versenken. Da er ehemals während

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